Eine Lady nach Maß
hatte sie darauf schon die James-Kinder für ein paar Minuten verschnaufen sehen, bevor sie weiter in der Wäscherei mithalfen.
Momentan war die Bank leer. Das Wetter war schön, deshalb entschied Hannah, dass sie draußen auf Ezra warten wollte. Sie schloss den Laden ab und ließ sich auf die Bank sinken. Für einige Augenblicke schloss sie die Augen und holte ein paar Mal tief Luft. Als sie die Augen wieder öffnete, waren ihre Gedanken entspannter und drehten sich nicht mehr nur um Stoffe, Aufträge und Kunden. Hannah ließ den Blick auf der Suche nach unerwarteten Schönheiten umherschweifen. Sie liebte es, auf diese Weise nach Gottes verborgenen Geschenken der Liebe zu suchen. Wann immer sie eines fand, freute sie sich darüber und dankte ihrem Schöpfer dafür.
Ein Schmetterling flatterte an ihr vorbei und ließ sich neben ihr auf der Bank nieder. Seine orangen Flügel waren wie mit schwarzen Adern durchzogen – ähnlich einigen Kirchenfenstern, die Hannah schon gesehen hatte – und winkten ihr einen Gruß zu. Er saß nur einen kurzen Moment da, bevor er sich wieder erhob und davonschwebte. Hannah folgte ihm mit ihrem Blick, bis er hinter einem Baum verschwunden war. Das ließ sie daran denken, dass die Bäume bald ihre Blätterfarbe verändern würden. Das ganze Land wäre dann von Gold-, Rot- und Brauntönen durchzogen. Während sie noch ihren Gedanken nachhing, hörte sie plötzlich laute, aufgeregte Kinderstimmen.
„War ich nicht!“
„Warst du wohl!“
„Das sage ich Mama.“
„Mach doch. Es ist deine Schuld, dass wir ihn verloren haben.“
Hannah wandte ihren Kopf und sah gerade noch, wie Molly James in der Wäscherei verschwand, offensichtlich dazu bereit, ihre Drohung wahr zu machen. Tessa schluchzte und starrte ihrer Schwester wütend hinterher. Dann drehte sie sich abrupt um und rannte blindlings auf Hannahs Bank zu. Das Mädchen blieb erschrocken stehen, als sie merkte, dass die Bank schon besetzt war. Tränen traten ihr in die Augen, kullerten aber nicht ihre Wange hinunter, als sie Hannah erblickte. Bevor das Kind weglaufen konnte, klopfte Hannah auf die freie Sitzfläche neben sich.
„Ich teile gerne.“
Tessa zögerte. Dann zuckte sie die Schultern und setzte sich. Ihre Füße baumelten in der Luft und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Dann zog sie eine beeindruckende Grimasse.
Hannah seufzte mitfühlend und verschränkte ebenfalls ihre Arme. „Kleine Schwestern können wirklich schrecklich sein. Ich habe auch eine, deshalb weiß ich, wovon ich rede.“
Tessa hob ein wenig ihren Kopf. „Wirklich?“
„Mhm.“
„Hat sie dich auch wegen etwas in Schwierigkeiten gebracht, was du gar nicht gemacht hast?“
„Oh ja. Oft.“ Hannah hatte Mühe, ernst zu bleiben, da sie am liebsten gelacht hätte. „Ich erinnere mich an das erste Mal, als meine Mutter mir erlaubte, an einem ihrer Quilttreffen teilzunehmen. Normalerweise mussten Emily und ich auf unserem Zimmer bleiben, wenn Mutter sich mit ihren Freundinnen traf, aber sie war der Meinung, dass meine Stickereien nun gut genug waren, um sie den anderen zu zeigen. Ich war so aufgeregt und stolz. Aber Emily fühlte sich ausgeschlossen. Sie bettelte meine Mutter so lange an, an dem Abend helfen zu dürfen, bis sie ihr erlaubte, beim Abschneiden der Fäden zu helfen. Das Problem war nur, dass meine Mutter immer mit einem so langen Faden gearbeitet hat, dass sie ihn nur ganz selten abschneiden musste. Also hat Emily einfach so meine Fäden abgeschnitten. Doch das wollte ich nicht. Ich fragte sie freundlich, ob sie es lassen könnte, aber sie bestand darauf, dass es ihre Aufgabe war, die Fadenenden abzuschneiden. Zum Glück redeten die anderen Frauen so laut miteinander, dass sie von unserem Streit nichts merkten. Hätte Emily mir einfach die Schere gegeben, wäre alles gut gewesen, aber sie weigerte sich.“ Hannah schüttelte den Kopf. „Ich versuchte, ihr die Schere wegzunehmen. Es ging hin und her, bis ich endlich gewonnen hatte. Doch leider konnte ich den Sieg nicht sehr lange genießen.“
Tessa rückte gespannt näher an Hannah heran. „Was ist passiert?“
„Ich hatte so viel Schwung, dass mir die Schere aus der Hand flog – direkt in Myrtle Butlers Teetasse. Sie schrie laut und ließ die Tasse fallen. Der ganze Tee ergoss sich über ihr Kleid – und noch schlimmer, über den Quilt, den wir gerade nähten.“
Tessa schnappte erschrocken nach Luft.
Hannah nickte und wieder überkam sie dieses schreckliche
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