Eine Lady nach Maß
seltsamen Übungen mit den Keulen hatten doch tatsächlich dafür gesorgt, dass sich ein Muskelkater anbahnte.
Und die Ringe? Er hätte Hannahs Angebot annehmen sollen, die Übungen vorher abzubrechen. Sie war ihm so nahe gewesen, dass er den Duft ihres Haares hatte wahrnehmen können. Ihre Augen hatten gestrahlt wie ein blauer Sommerhimmel. Und wenn sie sich bewegt hatte, hatte ihr Rock gegen seine Beine geschlagen, was ihn fast wahnsinnig gemacht hatte.
Und dann war sie gegen seine Brust gefallen. Das hatte das Feuer in ihm endgültig entflammt. Es hatte ihn eine ganze Wagenladung an Selbstbeherrschung gekostet, sie von sich zu schieben.
Den Rest des Vormittags hatte er damit verbracht, seine Fassung wiederzugewinnen und Gott darum zu bitten, dass er Hannahs Tricks widerstehen könnte. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es keine Tricks waren. Hannah Richards mochte versuchen, ihre Kleider den Menschen in Coventry unterzuschieben, doch mit sich selbst würde sie das niemals tun. J.T. hatte gemerkt, dass sie während der Übungen immer wieder versucht hatte, eine gewisse Distanz zwischen sie zu bringen, was ein Ding der Unmöglichkeit gewesen war, wenn man bedachte, dass ihre Hände sich eigentlich die ganze Zeit über berührt hatten. Nein, sie war einfach eine hübsche, fehlgeleitete Frau, die an seinem Herzen zog und seinen Körper lockte. Mit Gottes Hilfe würde er widerstehen können. Das musste er. Er würde nicht den Fehler seines Vaters wiederholen.
Ohne dass er es wollte, wanderten J.T.s Gedanken zurück bis zu dem Tag, an dem sein Vater ihn beiseitegenommen hatte, um ihm zu eröffnen, dass die Frau, die sie beide liebten, sie für immer verlassen hatte. Mit abgezehrtem Gesicht und traurigen Augen hatte er seinem Sohn auf die Schulter geklopft.
„Tritt nicht in meine Fußstapfen, mein Sohn“, hatte er ihn gewarnt.
Das war alles gewesen, was er zu diesem Thema gesagt hatte, doch es war genug gewesen.
J.T. erinnerte sich an die Ausreden, die sein Vater immer wieder gefunden hatte, wenn seine Mutter sich in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, um ihre Kleider anzuprobieren, und ihr Mann sich um seine schreiende kleine Tochter hatte kümmern müssen. Er hatte gesagt, dass Mutter nur neurotisch sei, als hätte das alles erklärt. Doch dann hatte er immer mehr seiner Aufgaben an seinen Sohn abgegeben, bis J.T. angefangen hatte, sich selbständig um alles zu kümmern.
Als sein Vater seine Mutter kennengelernt hatte, hatte er sich so von ihrem Äußeren blenden lassen, dass er über ihre charakterlichen Schwächen hinweggesehen hatte. Sie war vierzehn Jahre jünger als er gewesen. Vermutlich hatte sein Vater gehofft, sie würde sich ändern, wenn sie die verantwortungsvolle Aufgabe einer Mutter und Hausfrau übernehmen musste. Aber das war nicht der Fall gewesen. Ihre Bedürfnisse waren immer ausgefallener geworden. Nachdem sie zwei Kinder zur Welt gebracht hatte, hatte sie sich immer wieder über den Verlust ihrer guten Figur beklagt. Sie hatte nach teuren Kleidern verlangt, bis die Ersparnisse ihres Mannes aufgebraucht gewesen waren. Danach hatte sie ihm gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht weiterhin ihren teuren Lebenswandel finanzieren würde. J.T. konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht genommen hätte – nicht einmal für ihn oder Delia.
An dem Tag, als sie seinen Vater zu Grabe getragen hatten, hatte J.T. sich geschworen, dass er seinen Rat sehr ernst nehmen würde. Und genau das hatte er getan. Bis Hannah Richards in sein Leben getreten war. Irgendetwas an dieser Frau zerstörte seine innere Verteidigung. Er musste unbedingt herausfinden, was es war. Und zwar schleunigst.
Als er bei seinem Haus angekommen war, blieb er auf der Veranda stehen. Er verdrängte die Gedanken an seine Eltern und an Hannah, bevor er durch die Tür trat. Wie jeden Tag trat er in die Küche und stülpte seinen Hut über den Haken. „Was gibt’s zu Mittag, Schwesterherz?“
„Gebratenes Hühnchen und Pastinaken, zum Nachtisch Apfelküchlein.“
Delia öffnete den Ofen, aus dem ein köstlicher Duft schlug. J.T.s Magen knurrte vor Vorfreude. Er wusch sich schnell die Hände und setzte sich auf seinen Platz am Küchentisch.
Er konzentrierte sich so sehr darauf, völlig normal zu wirken, dass er schon fast mit seinem Essen fertig war, bevor er bemerkte, dass seine Schwester ihn anstarrte.
„Was?“
Delia stützte ihr Kinn auf beide Hände. „Ich denke, sie
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