Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
Vielleicht hatte sie nicht gewollt, dass ihr Anwalt das Durcheinander entdeckte, wenn er nach ihrem Tod seine Inventur machte. Das war die wahrscheinlichste Erklärung. Sie hätte es tun müssen, bevor Celia nach Hause kam, und deutete darauf hin, dass ihre Mutter gewusst hatte, dass ihr Ende bevorstand.
Vielleicht war es auch Celias Vater gewesen. Wenn er nicht wollte, dass seine Identität bekannt wurde, war er vielleicht gekommen oder hatte jemanden geschickt, um in diesem Haus seine Spuren zu beseitigen. Der Gedanke, dass er sich solch große Mühe gegeben haben sollte, nur um sie davon abzuhalten, die Wahrheit zu erfahren, betrübte sie. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass sie von ihm Geld verlangen oder seinen Namen missbrauchen würde. In Wahrheit wünschte sie sich doch nur, eine Leere zu füllen, die sie ihr ganzes Leben in ihrer Seele gespürt hatte.
Sie fuhr fort, die Schubladen des Sekretärs zu durchsuchen. Als sie tief in eines der Fächer griff, berührten ihre Fingerspitzen auf einmal etwas. Sie zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus, auf dem ihr Name stand.
Neugierig faltete sie es auseinander.
Meine liebe Celia,
wenn du das hier gefunden hast, suchst du zweifellos nach Geld, Schmuck oder vielleicht seinem Namen. Ich kann dir die Zeit ersparen. Du wirst hier nichts von Wert finden, und die Identität deines Vaters zu erfahren wird dir nichts Gutes bringen.
Den notwendigen Stil aufrechtzuerhalten hat mich über die Jahre all die Geschenke gekostet, die ich erhalten habe. Wie ich dir schon oft gesagt habe, besteht dein wahres Erbe in deiner Erziehung, nicht in barer Münze. Du bist viel schöner als ich und auch liebenswürdiger, und du singst wie ein Engel. Du hast bereits bewiesen, dass du für dich selbst sorgen kannst. Wie du das in Zukunft tun wirst, ist allein deine Entscheidung. Ich sorge mich nicht um dich, und das ist mir ein großer Trost.
Bitte sei versichert, dass du bis auf eine unkluge Herzensangelegenheit die einzige Person warst, die ich jemals geliebt habe. Ich hoffe, dass du nach Hause kommst, bevor mich diese Krankheit dahinrafft, aber wenn nicht, verstehe ich das.
Mama
Sie starrte auf den Brief. Während sie die elegante Handschrift mit ihren Fingerspitzen nachzeichnete, überkam sie doch noch die Trauer, die sich ihr tagelang entzogen hatte. Ihre Augen brannten vor Tränen.
Sie
war
nach Hause gekommen, kurz und zum letzten Mal. Wie schrecklich wäre es gewesen, diesen Brief zu lesen, wenn dem nicht so gewesen wäre.
Sie beugte ihr Gesicht tief über den Brief und begann, sich weinend von ihrer Mutter zu verabschieden.
»Du musst zugeben, dass mein Plan gut ist, Daphne. So vergrößern wir das Geschäft ohne Mehrarbeit für dich«, sagte Celia zwei Tage später.
Daphne dachte über das Angebot nach, das ihr gerade gemacht worden war. Ihre grauen Augen wirkten zwar abgelenkt, doch ihr filigranes, makelloses Gesicht unter ihrem schlicht frisierten, hellen Haar blieb ruhig.
»Die Logik deines Plans entzieht sich mir nicht. Ich habe nur niemals daran gedacht, einen Geschäftspartner für The Rarest Blooms zu haben; das ist alles. Außerdem war ich davon ausgegangen, dass ich dich nur für ein paar Tage hier abgesetzt hätte, damit du entscheidest, was du mit diesem Haus machen möchtest. Doch nun klingt es so, als ob du vorhättest, dich dauerhaft hier einzurichten.«
Sie standen in einem kleinen Zimmer in Alessandras Haus in der Wells Street. Sonnenlicht strömte durch die nach Süden gewandten Fenster und betonte den Schimmer von Daphnes blasser Haut. Selbst an bewölkten Tagen würde dieser Raum hell sein. Und wie Daphne schon an jenem ersten Tag bemerkt und Celia sicherlich ebenfalls gesehen hatte, machten die Fenster und die Lage diese Stube perfekt für die Lagerung von Pflanzen.
Im letzten Jahr war Daphnes Geschäft, The Rarest Blooms, äußerst erfolgreich gewesen. Inzwischen bezogen einige der besten Häuser in Mayfair ihre Pflanzen und Blumen aus Daphnes Gärten und Gewächshäusern nahe Cumberworth.
Doch all dieses Grün zu transportieren war mittlerweile zu einer mühseligen Aufgabe geworden. Wenn es eine Filiale hier in London gäbe, wo die Waren zwischengelagert werden könnten, wäre es viel einfacher, die Bestellungen auszuführen.
»Dieser Raum wäre selbst im Winter warm genug für die Pflanzen. Schnittblumen könnte man in der Vorratskammer und während des Sommers im Keller aufbewahren«, sagte Celia.
»Ich stimme dir zu, dass dieses Haus
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