Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
war das Merkmal einer Frau, die zu viel allein war. Sie würde bald eine Haushälterin einstellen müssen, wenn auch nur, um nicht von solch unbedeutenden Begegnungen abhängig zu werden.
»Wie ich sehe, bauen Sie etwas.« Er stand auf der Schwelle und musterte die beiden unteren Regalbretter. Dann betrat er den Raum und hob den Hammer an. »Machen Sie das alleine?«
»Ich habe einen Jungen eingestellt. Er kauft gerade mehr Nägel. Hat das Hämmern Sie aufgeweckt?« Sie hatte Thomas im Morgengrauen beginnen lassen, natürlich auch, um Mr Albrighton zu stören.
»Nein. Ich bin sowieso früh aufgestanden.«
»Was haben Sie denn vor?«
»Wenn Sie neugierig sind, können Sie gerne heraufkommen und es sich selbst ansehen. Ich glaube, Sie haben seit dem ersten Tag keinen Fuß mehr in das Stockwerk gesetzt.«
Die Erinnerung an jenen Morgen tauchte in ihren Gedanken auf, und sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen. Sie hatte nicht vergessen, wie unangebracht sie sich verhalten hatte und wie gebannt sie von ihm gewesen war.
»Ich war sehr beschäftigt.« Sie deutete auf die Regale.
»Ah. Ich dachte schon, dass ich Ihnen vielleicht Angst eingejagt hätte.«
»Warum sollte ich Angst vor Ihnen haben?«
Er zuckte mit den Schultern. »Einige Frauen haben das.«
Vielleicht hatten sie Angst davor, wie er eine Frau ansehen konnte, so, wie er es jetzt gerade tat. Ihr Blut raste schneller, während seine dunklen Augen intensiv in ihre blickten.
Sie sollte es ihm nicht gestatten, sie so durcheinanderzubringen. Denn das war genau seine Absicht. Er fand es amüsant, sie wegen jener Begegnung aufzuziehen. »Vielleicht haben sie vor Ihrem Haar Angst. Es ist so unmodisch, dass Sie damit wie ein Schurke wirken.«
»Wollen Sie, dass ich es mir abschneide? Ich möchte nicht, dass Sie mich für einen Schurken halten.«
»Natürlich möchten Sie das. Aber schneiden Sie es sich nicht wegen mir. Wie ein Mieter sein Haar trägt, spielt in meinem geschäftigen Leben keine Rolle. Ich wage sogar zu behaupten, dass ich es gar nicht bemerken würde, wenn Sie es täten.«
»Sie kränken mich, Miss Pennifold. Dabei dachte ich eigentlich, dass Sie jeden Morgen hier warten, um mich zu begrüßen.«
Erneut spürte sie, wie ihr Gesicht ganz heiß wurde. Er warf ihr einen befriedigten Blick zu und trug seinen Eimer die Gartentür hinaus.
Er hatte recht. Sie hatte den Dachboden gemieden, weil er sich dort aufhielt. Doch was er für ein arroganter Mann sein musste, um das anzunehmen. Jetzt, wo sie richtig eingezogen war, musste sie sich bald oben blicken lassen. Sie wollte sehen, welche Besitztümer ihrer Mutter sich oben in den Zimmern befanden, in denen Mr Albrighton sich nicht aufhielt.
Sie sah zu, wie er in den hinteren Teil des Gartens ging und einen Busch umrundete, wo sich alles Nötige befand. Dann erblickte sie sein dunkles Haar am Brunnen. Mit dem Eimer in der Hand schlenderte er ganz locker zum Haus zurück, gedankenverloren und ohne zu wissen, dass sie ihn beobachtete.
Er war ein gut aussehender Mann, so viel stand fest. Aber irgendwie auch gefährlich, durch diese nicht greifbare Tiefe, über die er verfügte. Doch in seinen Augen wartete die Vertrautheit eines alten Freundes. Diese lockte sie so stark, dass sie sich immer wieder in Erinnerung rufen musste, dass er in Wirklichkeit ein Fremder war.
Außerdem enthüllten diese Augen trotz ihrer Wärme und Vertrautheit nichts über den Verstand dahinter.
Nun, eine Sache schon. Seine männlichen Gedanken waren deutlich sichtbar. Sie kannte inzwischen das schwache Glimmen der Begierde. Nicht nur ihr Blut raste, wenn sich ihre Blicke trafen.
Er war gut darin, diese Dinge zu verbergen. Doch sie sah es trotzdem. Sie sah und spürte es. Sie kannte männliches Begehren in all seinen Formen und Manifestationen und konnte es genauso fühlen, wie manche Leute Regen riechen konnten.
Sie war schließlich von einer Expertin unterrichtet worden, wie man es erkannte, es fühlte und es für die eigenen Zwecke einsetzte.
Eine halbe Stunde nachdem Mr Albrighton gegangen war, drang Lärm von der Straße ins Haus. Schreie und Pfiffe störten den friedlichen Tag.
Celia ging in den vorderen Salon und sah hinaus. Thomas stand mit rotem Gesicht und abwehrender Körperhaltung auf der Straße, um ihn herum andere Burschen. Es war nicht klar, ob er kämpfen oder in Tränen ausbrechen würde.
»Eine Besorgung für sie, sagst du?«, höhnte einer seiner Peiniger. »Oder sollst du
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