Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
er das tat, verschwanden alle Gedanken an das bevorstehende Treffen mit Thornridge aus seinem Kopf.
Er konnte sie nicht sehen, ohne sie zu begehren. Selbst jetzt, aus dieser Entfernung, ließen ihn die Erinnerungen an ihre unbeschwerte Leidenschaft hart werden. Er war nicht an die unvollendete Sinnlichkeit gewöhnt, die sie miteinander geteilt hatten, und sie trieb ihn in den Wahnsinn.
Sie schien ebenso tief in Gedanken versunken zu sein, wie er es gewesen war, und über eine ebenso schwierige Entscheidung zu grübeln. Er bezweifelte, dass sie sich überhaupt ihrer Umgebung bewusst war, während sie langsam, fast steif, den Weg zum Haus entlangging.
Sie blieb stehen, entfernte ihre Haube, als ob ihre Schleife sie beengen würde. Dann hob sie den Kopf und betrachtete mit einem traurigen Gesichtsausdruck das Haus.
Dann wanderte ihr Blick nach unten. Eine tiefe Verstörtheit ergriff sie. Sie bewegte sich nicht. Sie stand einfach nur da, und anstatt dass das Licht sie fand, schien es so, als würden es die Schatten im Garten tun.
Er beobachtete sie und wartete darauf, dass sie wieder zu sich kam, wartete auf die Lebensfreude, die ihr Gesicht verwandelte, selbst wenn sie nicht lächelte. Doch sie blieb unbewegt und ähnelte ihrer Mutter dabei mehr als jemals zuvor.
Das Haus und der Garten kamen ihr fremd vor, unbekannt. Das Gefühl eines Heims, dass sie hier erfahren hatte, war verschwunden.
Sie gehörte nicht hierher. Ihre Entscheidung, dies zu ihrem Zuhause zu machen und Daphnes Geschäftspartnerin zu werden, war aus Verwirrung, nicht Klarheit entstanden.
Sie war nicht wie Daphne Joyes oder Audrianna. Sie hatten nicht die gleiche Vorgeschichte oder Erziehung genossen. Daphne hatte sich ihre elegante Genügsamkeit über viele Jahre angeeignet. Ihre gute Abstammung erhöhte selbst eine solch schlichte Existenz wie ihre zu etwas Edlem.
Die Tochter von Alessandra Northrope war zu anderen Dingen erzogen worden, mit anderen Absichten und Werten. Sie betrachtete die Proportionen des Hauses. Sie dachte an die leicht abgenutzten Polstermöbel. Ein Jahr lang würde sie sich vielleicht damit zufriedengeben Die Begeisterung über ihre Unabhängigkeit würde sie eine Weile stärken.
Doch sie war für eine andere Art Leben geschult worden, und das Versprechen materieller Dinge hatte stets eine starke Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Selbst Schande war eine Art Berühmtheit. Die letzten fünf Jahre hatte sie praktisch nicht mehr existiert. Sie hatte es ertragen, weil es vorübergehend war.
Während sie das Haus betrachtete, fragte sie sich, ob sie nicht besser dran wäre, wenn sie Mamas Plan und Anthony als ihren ersten Gönner endlich akzeptierte. Sie stellte sich vor, wo sie in zehn Jahren sein würde, wie sie in diesem Haus Pflanzen herumschob und sich fragte, ob Mr Albrighton dieses Jahr nach London zurückkehren würde.
Versprich mir, dass du an deine Zukunft denken wirst und daran, und was du durch jede Entscheidung gewinnst oder verlierst. Versprich mir, dass du alles ehrlich abwägen wirst, ohne vorzugeben, jemand anderes als meine Tochter zu sein.
Es war so leicht gewesen, ihrer sterbenden Mutter dieses Versprechen zu geben. Und sie hatte bis jetzt auch gedacht, dass sie es eingehalten hätte. Doch nun, wo sie Gewinn und Verlust so deutlich vor sich sah, wurde ihr klar, dass sie es nicht getan hatte.
»Sie wirken ein wenig verloren, Miss Pennifold.«
Erschrocken drehte sie sich um. Nicht weit von ihr entfernt stand Jonathan. Sie hatte nicht mal gehört, wie er sich ihr genähert hatte.
»Vielleicht bin ich das«, erwiderte sie. »Ein Geistlicher würde sagen, dass meine Gedanken zur schlimmsten Art, verloren zu sein, führen könnten, auch wenn ich glaube, dass er damit falsch läge.«
»Wünschen Sie sich, dass Sie ebenfalls dieser Meinung wären?«
»Es würde meine Entscheidung vielleicht leichter machen.« Sie lächelte, als sie das zugab. Wenn sie glauben könnte, dass Anthony die Verdammung ihrer Seele repräsentierte, würde sie vielleicht nicht an ihrem Weg zweifeln.
Die Wärme in seinen Augen verlockte sie dazu, sich ihm anzuvertrauen. Sie fühlte, wie sich die Worte in ihr anstauten. Er hatte eigentlich kein freundliches Gesicht. Sie würde seine Züge vielleicht sogar als schroff bezeichnen, die nicht wie bei zahlreichen Männern in seinem Alter durch zu viele gesellschaftliche Festgelage verweichlicht worden waren. Es war ein durchaus attraktives Gesicht, zumindest für sie, aber vielleicht zu
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