Eine Lady zu gewinnen ...
die Zügel anzuziehen, statt mich von den Felsen zerschmettern zu lassen.«
Die Anspielung verschlug ihr die Sprache. Wie konnte man nur so auf dem Schmerz anderer Leute herumtrampeln?
»Sie gehen zu weit, Chetwin. Aber Sie wussten noch nie, wie man sich in Gegenwart einer Lady benimmt«, knurrte Lord Gabriel.
Chetwin streifte sie mit einem abfälligen Blick. »Eine Lady fordert Gentlemen nicht zu einem Rennen heraus, das sie gar nicht beabsichtigt zu fahren.«
»Natürlich beabsichtige ich, das Rennen zu fahren!«, erwiderte sie hitzig. »Sobald ich Lord Gabriel am Freitag in Ealing geschlagen habe!«
Im selben Moment, in dem sie die Worte aussprach, wurde ihr klar, welche Dummheit sie begangen hatte.
»Wenn Sie uns entschuldigen würden. Miss Waverly hat mir den nächsten Tanz versprochen«, unterbrach Lord Gabriel das Gespräch und zog sie rasch auf die Tanzfläche.
Das Orchester spielte einen Reel, einen schottischen Volkstanz, der in den letzten Jahren auch in die Ballsäle der besseren Gesellschaft Einzug gehalten hatte. Der schnelle, wilde Tanz passte gut zu ihren Gedanken, die ebenfalls wild in ihrem Kopf durcheinanderwirbelten.
Lord Gabriel hatte sie gegen diesen scheußlichen Chetwin verteidigt. Und bis sie selbst damit herausgeplatzt war, hatte er auch über ihr Rennen Stillschweigen gewahrt, obwohl er die Unterstellungen des Lieutenants leicht hätte entkräften können, wenn er damit geprahlt hätte. Irgendwie passte das alles nicht zu seinem Hang zu dramatischen Auftritten.
Er fasste sie um die Hüfte, führte sie durch die Reihe der Tänzer und sagte: »Es tut mir leid, Miss Waverly. Chetwin ist ein Mistkerl.«
»Da stimme ich Ihnen zu. Was hat er gegen Sie?«
Ein Muskel zuckte in Lord Gabriels Wange. »Ich habe vor den Augen seines ganzen Kavallerieregiments ein Rennen gegen ihn gewonnen und ihn damit vor den Männern, die unter seinem Kommando stehen, gedemütigt. Seitdem grollt er mir. Deshalb belästigt er mich ständig damit, noch einmal in Turnham Green gegen ihn anzutreten.«
»Das entschuldigt nicht sein Verhalten mir gegenüber«, sagte sie, bevor ein Partnerwechsel sie trennte.
Als der Tanz sie wieder zusammenführte, sagte er: »Sie haben ihn daran erinnert, dass ich ihn geschlagen habe. Das ist Grund genug für ihn, Sie nicht zu mögen. Warum haben Sie das getan, wo Sie mich doch so sehr verabscheuen?« Seine Augen leuchteten. Offensichtlich hatte er falsche Schlussfolgerungen aus ihrem Verhalten gezogen.
Sie schnaubte. »Wenn irgendjemand das Recht hat, Sie zu kritisieren, Lord Gabriel, dann bin ich das, nicht irgendein widerwärtiger Kerl, dessen Lebenszweck darin zu bestehen scheint, Unheil zu stiften.«
Er lachte, und der Tanz trennte sie von Neuem.
Danach schwiegen sie, aber sie war sich nur allzu bewusst, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte.
Die Worte des Lieutenants gingen ihr nicht aus dem Kopf: Beim letzten Mal musste ich seine Mutter beleidigen, damit er bereit war, die Nadelöhrstrecke zu fahren. War das wirklich der Grund gewesen, warum Lord Gabriel gegen diesen gemeinen Kerl angetreten war – weil Chetwin seine Mutter beleidigt hatte?
Natürlich änderte das nichts. Aber … es ließ ihn irgendwie menschlicher erscheinen, wenn man an die skandalumwitterten Umstände des Todes seiner Eltern dachte.
Schon seit vielen Jahren kannte sie die Gerüchte über den Tod von Lord und Lady Stoneville. Die offizielle Version besagte, dass Lady Stoneville ihren Gatten versehentlich erschossen hatte und dann, als sie ihren Irrtum entdeckte, in ihrem Schmerz die Waffe gegen sich selbst gerichtet hatte. Aber es gab noch alle möglichen anderen Gerüchte: Dass ihr ältester Sohn, der jetzige Lord Stoneville, seine Eltern umgebracht hatte, um schneller an sein Erbe zu kommen. Dass Lady Stoneville ihren Gatten aus Eifersucht wegen seiner zahllosen Affären erschossen hatte.
Kein Wunder, dass Lord Gabriel sich verpflichtet gefühlt hatte, Chetwins Herausforderung anzunehmen.
Sie runzelte die Stirn. Wie kam sie dazu, Rechtfertigungen für ihn zu finden? Er war ein leichtsinniger Narr, der nicht wusste, was sich gehörte, und ein hochnäsiger Schuft, der von ihr Dankbarkeit dafür erwartete, dass er sie heiraten wollte … Und er war ein Mann, der im Alter von sieben Jahren auf schreckliche Weise seine Eltern verloren hatte und der es irgendwie immer noch fertigbrachte, dem Leben ein bisschen Freude abzugewinnen.
Sie beobachtete ihn, während sie sich beide mit
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