Eine Lady zu gewinnen ...
Naturell offensichtlich von ihr geerbt. Isaac konnte sich Hester Plumtree gut dabei vorstellen, wie sie eine Kutsche in halsbrecherischem Tempo über irgendeinen Feldweg lenkte. Und Gott mochte dem Narren gnädig sein, der ihr in die Quere geriet.
»Ich muss nach meiner Enkelin sehen«, murmelte er und wandte sich ab. Er musste dieser Frau und ihren Intrigen entkommen, bevor er sich in ihren Netzen verfing.
Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Er würde das Mädchen am nächsten Freitag einfach einsperren. Sollte Sharpe kommen und sie holen, wenn er sein Rennen haben wollte.
Mit schweren Schritten ging er durch den Korridor in die Eingangshalle zurück. »Virginia, wir fahren nach Hause.«
Es war niemand da.
»Virginia!«, rief er.
Sie kam nicht, und nichts deutete darauf hin, wo sie hingegangen war.
»Verdammt! Wo zum Teufel ist meine Enkelin?«
4
Virginia schlug den Weg zu den Stallungen ein, den ihr der freundliche Diener umständlich beschrieben hatte. Dieses Anwesen war einfach unglaublich. Was für Menschen wohnten an so einem Ort? Kein Wunder, dass Lord Gabriel so selbstsicher war. Er war mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden und dachte deshalb offenbar, dass er ein Recht auf alles hatte, was er begehrte.
Nun, sie würde ihm einen kleinen Dämpfer verpassen.
Wirklich schade, dass Poppy so dickköpfig war, was das Kutschenrennen betraf. Wünschte er sich denn nicht, Lord Gabriel vor aller Öffentlichkeit gedemütigt zu sehen?
Aber sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Wenn sie es schaffte, einen Blick auf die Pferde zu werfen, die Lord Gabriel vor seinen Phaeton spannte, dann hatte sie Munition für ihre Diskussionen mit Poppy. Sie würde ihm ausführlich die Stärken und Schwächen von Lord Gabriels Gespann auseinandersetzen und ihm dann ganz genau erklären, wie sie ihn mit ihren eigenen Pferden schlagen konnte. Ihr stand schließlich ein ganzes Gestüt zur Verfügung. Und was immer Lord Gabriel auch alles besitzen mochte, das hatte er, soviel sie wusste, nicht.
Es würde auch nicht schaden, seine Kutsche einmal in Augenschein zu nehmen. Vielleicht konnte sie sich etwas abschauen, um ihren Carrick leichtgängiger zu machen. Wenn es ihr gelang, Poppy davon zu überzeugen, dass sie das Rennen gegen Lord Gabriel nicht verlieren konnte, würde er vielleicht einlenken.
Sie näherte sich einem mächtigen Bau, in dem offensichtlich Pferde untergebracht waren. Nicht weit davon entfernt erblickte sie ein zweites, kleineres Gebäude, das ebenfalls ein Stall zu sein schien. Oh je. Wie sollte sie nur herausfinden, in welchem von den Gebäuden seine Pferde und sein Phaeton standen? Und wie sollte sie die Stallburschen dazu bewegen, sie einen Blick hineinwerfen zu lassen, ohne ihre Absichten zu offenbaren?
Plötzlich trat ein Stallbursche mit einem Eimer in der Hand aus dem größeren der beiden Gebäude. Sie verbarg sich hinter einem Mauervorsprung, während er einen jüngeren Stallburschen zu sich rief. Als der junge Stallbursche herbeieilte, gab der ältere ihm den Eimer und sagte: »Das ist das spezielle Futtergemisch, das Lord Gabriel für sein neues Pferd wollte. Achte darauf, dass das Tier alles auffrisst. Es ist gut für die Verdauung.«
Der junge Stallbursche eilte mit dem Eimer über den Hof und verschwand in dem kleineren Gebäude. Kurz darauf kam er ohne Eimer zurück.
Virginia atmete tief durch. Das neue Pferd, von dem die Stallburschen gesprochen hatten, war sicherlich für Lord Gabriels Phaeton bestimmt. Da in dem kleineren Stall offensichtlich viel weniger Betrieb herrschte als im großen, konnte sie sich vielleicht ungesehen hineinstehlen.
Sie schlich vorsichtig auf den Eingang zu, darauf bedacht, nicht plötzlich von einem der Stallburschen überrascht zu werden, die in dem größeren Stall ihrer Arbeit nachgingen. Als sie Stimmen hörte, die sich in ihre Richtung bewegten, schlüpfte sie rasch in den kleinen Stall.
Doch im selben Moment blieb sie wie angewurzelt stehen. In der schmalen Stallgasse stand Lord Gabriel höchstpersönlich. Er hielt den Eimer mit dem Futtergemisch in beiden Händen und fütterte ein Pferd, dessen Nase zwischen den Gitterstäben einer Box hervorlugte. Er trug weder Gehrock noch Schleife, sondern nur eine Weste und ein Hemd, dessen hochgekrempelte Ärmel seine schlanken, muskulösen Unterarme sehen ließen.
Sie hielt den Atem an. In Hemdsärmeln, Reithosen und Stulpenstiefeln war er wirklich ein Bild von einem Mann: hochgewachsen,
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