Eine Leiche zu Ferragosto
ausreichendem Abstand zum Herrenhaus, noch ein paar kleinere Villen, die ausschließlich an Feriengäste von erwiesenem Stand und Anstand vermietet wurden.
All das wusste Santomauro von Gnarra, dem unermüdlichen Sammler scheinbar unnützen Tratsches und Klatsches. Alles in der Rocca zeugte von solidem, jahrhundertealtem Reichtum: teure, geschmackvolle Möbel, wertvolle Gemälde, die unaufdringlich von den massiven Wänden herabschauten, genau aufeinander abgestimmte Stoffe und Bezüge, mit denen ein Haus eingerichtet war, das nicht nur als Urlaubsdomizil, sondern auch als Ort der Erinnerung diente.
»Gefällt es Ihnen, Maresciallo?«, fragte sie, als sie seinen Blick durch den Raum schweifen sah. »Es herrscht ein bisschen Unordnung, zugegeben, aber ich finde, ein Haus muss bewohnt werden. Seit ich zurückdenken kann, komme ich hierher, und davor meine Mutter und meine Großmutter. Leider habe ich keine Tochter, an die ich die Rocca vererben könnte, nur eine Nichte, aber na ja, lassen wir das …«
Santomauro warf ihr einen verblüfften Blick zu, woraufhin sie laut auflachte, weil sie den Grund erahnte: »Wie, Sie wussten nicht, dass in unserer Familie die weibliche Erbfolge gepflegt wird? Dabei ging es doch durch das gesamte Dorf. Meine Mutter«, sie senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, »bekam mich, als sie noch eine Signorina war. Diese Tradition habe ich nicht fortgesetzt, doch an den Familiennamen meines Mannes entsinne ich mich trotzdem nicht mehr.«
Der Maresciallo stimmte in ihr Gelächter ein, diese Frau hatte etwas, das ihm gefiel, auch wenn er sich bewusst war, dass ihr Hang zur Selbstinszenierung schnell auf die Nerven gehen konnte.
»Da Sie ja eng mit Elena Mazzoleni befreundet waren, hoffe ich, dass Sie mir helfen können, etwas mehr Licht auf sie und ihr Umfeld zu werfen.«
»Weil Sie ja offensichtlich davon überzeugt sind, dass einer von uns sie umgebracht hat«, gab die Capece Bosco rundheraus zurück, was Santomauro ebenso rundheraus bejahte.
»Es gibt viele Gründe, warum ich glaube, dass sie von jemandem aus ihrem Bekanntenkreis ermordet wurde und von jemandem, der sich hier gut auskannte. Zum einen war sie erst seit ein paar Tagen hier, hatte sich verborgen gehalten, so dass angeblich nicht mal eine von Ihnen überhaupt wusste, dass sie hier war.« Regina nickte schweigend. »Und dann ist sie verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Selbst ihr Mann, der etwa zehn Tage nach ihr die Villa betrat, bemerkte keine Anzeichen für einen Kampf oder Ähnliches, die ihn beunruhigt hätten.« Zumindest behauptet er das, dachte der Maresciallo, denn Zeit, um mögliche Spuren verschwinden zu lassen, hatte der Witwer ja gehabt, und zwar reichlich.
»Pippo verdächtigen Sie doch hoffentlich nicht, oder?«
»Das dürfte ich Ihnen eigentlich nicht sagen, aber sein Alibi wurde überprüft, und es ist unmöglich, dass er sie umgebracht hat.«
Manfredi hatte hervorragende Telefonrecherche geleistet, Flugtickets, Restaurantquittungen und Zeugenaussagen von Freunden verglichen, bei denen er untergekommen war. Das Ergebnis war unumstößlich. Als Elena Mazzoleni mit Messerstichen massakriert wurde, hielt ihr Mann sich am Gardasee auf.
»Ein Fremder, ein Einbrecher, der glaubte, das Haus sei leer, und der dann die Kontrolle verloren hat?«
»Wie gesagt, im Haus finden sich keinerlei Spuren von Gewaltanwendung oder eines Einbruchs.«
Tatsächlich hatte er diesbezüglich schlicht den Worten des Ehemanns Glauben geschenkt, doch er nahm sich vor, das zu überprüfen. Was er Regina ebenfalls verschwieg, war, dass die Verletzungen, die der armen Frau zugefügt worden waren, mehr auf den wilden Hass eines Menschen hindeuteten, der sie gut gekannt hatte, als auf den Affekt eines Drogenabhängigen, der beim Diebstahl ertappt wurde.
Sie überraschte ihn ein weiteres Mal. »Soweit ich verstanden habe, lässt auch die Art des Verbrechens eher an eine intime Beziehung zwischen ihr und dem Mörder denken.« Sie war eine wirklich kluge Frau, dachte der Maresciallo, oder hatte sie etwa direkte Kenntnis darüber?
»Mal sehen, mir missfällt jedenfalls der Gedanke, dass es einer von uns war, aber egal, tun wir mal so, als sei es ein Gesellschaftsspiel.«
Der Maresciallo wartete gespannt auf ihre Ausführungen und bewahrte sich seine Fragen für einen späteren Zeitpunkt auf, wenn sie weniger auf der Hut war.
»Wenn Menschen sich so lange kennen wie wir, entstehen manchmal perverse Mechanismen,
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