Eine Leiche zu Ferragosto
fiel ihm nicht ein.
Die unterschwellige Sorge, mit der er vor drei Wochen abgereist war, hatte sich während der Tage in Rom als ein vages Unwohlsein in ihm eingenistet. Auch die Euphorie über die positiven Rückmeldungen, die er zu seinem Video bekommen hatte, hatte es nicht vertreiben können. Das Telefon hatte ihm nicht weitergeholfen, und als er zurückkehrte, war er fest entschlossen, die Angelegenheit zu klären.
Im Zug war sein Blick auf eine Schlagzeile im Lokalteil gefallen. DIE FRAU AUS DEN ALGEN HAT EINEN NAMEN. UNBEKANNTE LEICHE IDENTIFIZIERT, stand dort in großen Lettern. Er hatte gefragt, ob er sich die Zeitung kurz ausleihen dürfe, und der Besitzer, der seine Aufregung bemerkte, hatte ihm hilfsbereit einige Passagen vorgelesen, die er mit seinem noch unsicheren Italienisch und in seiner Aufregung nicht verstand. Ungläubig hatte er so die ganze Geschichte erfahren. Elena Mazzoleni war tot, die Ermittlungen in vollem Gange, bald würden sie auf ihn stoßen, und ganz sicher wäre er ein gefundenes Fressen: ein Schwarzer, der sich seine Dienste von weißen Frauen bezahlen ließ. Das war zum Lachen und zum Weinen gleichzeitig. Der freundliche Herr las immer weiter, der Artikel war gut und detailreich geschrieben, der Journalist schien mit allen Fakten bestens vertraut zu sein. Die Umstände waren minutiös recherchiert, er zitierte aus ermittlungsnahen Quellen, kannte den Namen des verantwortlichen Leiters und ließ sich fast genüsslich über alles aus, sicher zur Freude derjenigen Leser, die es gerne anschaulich mochten. Es war das klassische Sommerverbrechen, spannend und weit weg, wie alle schlimmen Sachen, die anderen passierten, und der Herr schien erfreut, einem so netten Nicht-EU-Bürger, noch dazu in Jackett und Krawatte, bestimmt ein Student oder Diplomatenanwärter,helfen zu können. Der Journalist hatte fast die komplette Seite bekommen, und eine Spalte beschrieb so genau Elenas Person, dass Samir nach dem, was er von ihr wusste, argwöhnte, der Autor müsse sie persönlich gekannt haben. In einem Kasten weiter unten waren noch einmal all die schrecklichen Details über den Zustand der Leiche aufgelistet, in dem sie gefunden worden war. Dies alles las der Mann mit erfreuter Stimme vor und sah verwirrt hoch, als Samir plötzlich aufsprang und ohne ein Wort des Dankes aus dem Abteil stürzte. So ein ordentlicher junger Mann.
In der Zugtoilette hatte Samir sich die Seele aus dem Leib gekotzt und war bis zur Ankunft in Vallo Scalo darin geblieben. Sein Freund holte ihn ab und brachte ihn mit wiederholten besorgten Seitenblicken nach Hause. Samir fühlte sich elend und legte sich ohne Mittagessen hin. Er versuchte zu telefonieren, doch wie zuvor ohne Erfolg. Sein Handy hatte mehrmals geklingelt, schließlich hatte Samir es ausgeschaltet und dann auf dem Bett liegend ins Leere gestarrt.
Den ganzen Nachmittag dachte er nach, zurückgezogen wie ein krankes Tier; seinem Freund sagte er, es ginge ihm nicht gut und er wolle niemanden sehen. Den Anruf tätigte er erst am späten Nachmittag, quasi als hoffte er, niemanden zu erreichen. Anschließend war er erleichtert. Er würde die Dunkelheit abwarten, doch eine Sache musste er noch erledigen, bevor er zu seiner Verabredung ging. Er legte sich die Taschenlampe und die Schlüssel zurecht, dann saß er da und wartete auf die Nacht. Er wollte nichts denken, doch die Gedanken und Erinnerungen kamen von ganz allein.
Nun stand eine Unterhaltung mit der Familie D’Onofrio über die Geschehnisse von vor zwei Jahren an, und der glückliche Auserwählte für diese Mission war Brigadiere Gnarra, bekannt für sein unleugbares Talent in Sachen Takt und Diskretion. Er nahm den Auftrag mit der Begeisterung eines Schweins an, das nach dem Markt von Cannalonga auf einen Lieferwagen getrieben wird, doch zunächst versüßte der Empfang durch SignoraD’Onofrio ihm sein Leid enorm. Die Dame war attraktiv, dem Äußeren nach nicht älter als fünfunddreißig, die Haare waren von einem phantasievollen Mahagonibraun, in das sich goldblonde Strähnchen mischten, die schwarzen Augen stark geschminkt, und über den Körper verteilt hatte sie genau die paar Gramm Fett zu viel, die nicht schadeten, sondern ihrer in einen silberschwarzkarierten Pareo gehüllten Gestalt die richtige Form verliehen.
Gnarra wusste, dass Gaia die jüngste ihrer Töchter war, die anderen zwei standen mittlerweile kurz vor dem Abschluss ihres Sprachstudiums und waren als Teenager generöse
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