Eine Leiche zu Ferragosto
erdenklichen Farben: Zitrone, Orange, Erdbeere, Kirsche, Mandel, Minze und irgendetwas Braunes, das Pedro noch nie gesehen hatte.
»Was ist denn das, Kaffee?«
»Du liebe Güte, nein! Es ist Bancha-Tee, Dottò, das ist dieses Jahr total in. Gut gegen Gallensteine und für die Aorta. Gegen Bluthochdruck. Wollen Sie probieren?«
»Nein, danke, Peppino. Ich gehe lieber auf Nummer sicher, mach mir eine schöne Granita mit Mandelgeschmack. Und du, Cozzone?«
»Minze, danke, das nächste Mal revanchiere ich mich.«
Peppino machte sich ans Werk, während sich ein Rudel nackter und halbnackter Kinder mit Münzen in ihren verschwitzten Fäusten um sie scharte. Unter einem Tuch holte er einen riesigen Eisklumpen hervor, auf dem er mit einem passenden Hilfsmittel herumzuschaben begann. Millimetergenau füllte er zwei Pappbecher mit zerstoßenem Eis, stellte sie auf ein Tablett und übergoss den einen mit weißem Mandelsirup, den anderen mit grüner Minzsoße. Einen weißen Plastiklöffel, einen grünen, und schon überreichte er ihnen stolz seine Kreationen.
Gnarra gab ihm zwei Euro, und er und der Gefreite setzten sich nicht weit entfernt in den Sand. Die Granite waren lecker, mit genau der richtigen Menge Sirup, um geschmackvoll, aber nicht klebrig zu sein. Die zwei Carabinieri aßen sie in genießerischem Schweigen und beobachteten die ballspielenden Kinder.
Mebazi führte sie zu der Unterkunft, die er sich mit Samir teilte. Es war ein Loch im Erdgeschoss irgendwo in den Randbezirken von Casale Marino, von außen schäbig und ungepflegt.
Drinnen jedoch war alles peinlich sauber. Im ersten Raum befand sich eine winzige Küchenzeile mit einem Klapptisch und einem Campingkocher neben dem Spülstein. Hinter einem Plastikvorhang erkannte man eine Toilette, einzige Lichtquellewar ein kleines Fenster neben der Wohnungstür. Der Rest der Einrichtung bestand aus zwei ebenfalls klappbaren Stühlen, die in der Nähe des Tischchens standen, und einem bescheidenen, ordentlich neben der Spüle gestapelten Sortiment an Geschirr.
Zwei Türen führten zu den Räumen der Männer. Mebazis Zimmertür stand offen und erlaubte einen Blick hinein: ein schmales, hohes Fenster, eine Liege mit glattgezogenen Laken, eine Sperrholzkommode mit Fotos darauf, wahrscheinlich von seiner Familie. An einer Wand befand sich ein Kleiderständer, ähnlich dem, den der Marokkaner mit sich herumtrug. Ein buntes Drunter und Drüber aus Kleidern, Stoffen, Pareos und Nippes hing daran, der einzige Farbfleck im Zimmer. Santomauro warf einen Blick auf die Fotos: wie vermutet waren darauf seine Frau und seine Kinder abgebildet, in Schwarzweiß.
Die andere Tür war geschlossen. Mebazi machte sie auf und zog sich dann zurück, um, wie er sagte, Kaffee zu kochen.
Santomauro trat zuerst ein, während Ammaturiello auf der Schwelle stehen blieb. Auch hier fiel das Licht durch ein kleines Fenster auf weiß verputzte Wände, alles Übrige jedoch war anders. Samir hatte der Liege einen ebenerdigen Futon vorgezogen, der mit Kissen in sämtlichen Rottönen von Blassrosa bis Bordeaux bedeckt war. Ein Flickenteppich auf dem Boden griff die Farben auf. Auf der Kommode, die mit Mebazis identisch war, standen zwei geschnitzte Köpfe aus dunklem Holz. Der Maresciallo betrachtete sie von nahem: ein Mann und eine Frau, mit grob geschnittenen, aber klaren Zügen, zwei kleine Kunstwerke, die Samir bei seiner Reise ins verhoffte Glück begleitet hatten.
An der Wand unter dem Fenster befand sich ein Fernseher, auf dem zwei Videorekorder standen, daneben stapelten sich ordentlich mehrere Dutzend Kassetten. Die drei Apparate waren teures Arbeitsgerät, die Videos fein säuberlich beschriftet, auf dem Futon lag eine Filmkamera, die das Herz eines jeden Kameramanns hätte höher schlagen lassen. Selbst Santomauro erkannte mit seinem Laienblick, dass der junge Mann etliche tausendEuro in etwas gesteckt hatte, das viel mehr sein musste als ein Hobby.
Der Anblick versetzte dem Maresciallo einen Stich ins Herz. So viele Träume, so viel Hoffnung, vernichtet in einem einzigen Moment blinder Gewalt. Das Talent des armen Samir würde für immer unentdeckt bleiben, bis auf die paar Videokassetten, die im Carabinieriarchiv landen und langsam, aber sicher vermodern würden, weil niemand sie zurückforderte. Wer weiß, ob ihm die Zeit geblieben war, sein Schicksal zu realisieren, ob er der Verabredung mit dem Tod im Glauben entgegengegangen war, einen Freund oder eine Geliebte zu treffen,
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