Eine letzte Breitseite
ohne Rücksicht auf sich selbst, ohne daran zu denken, was diese Verzögerung sie kosten konnte. Seine Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt, und er sah die tiefen Schatten in Alldays Gesicht, die Stoppeln am Kinn. Auch Veitch sah elend aus, wie ein Mann von einer Gefangenenhulk.
»Ich habe nur an mich selbst gedacht«, sagte er. »Gebt mir die Hände – alle beide!«
Alldays Grinsen leuchtete weiß in dem gebräunten Gesicht. »Gott sei Dank, Mr. Veitch, es scheint ihm ein bißchen besser zu geh n.«
»Erzählen Sie weiter«, sagte Bolitho. »Ich will versuchen, geduldig zuzuhören und nicht zu unterbrechen.«
Es war eine seltsame Geschichte, die Veitch und Allday abwechselnd berichteten. Seltsam, weil sie ein Stück seines Lebens darstellte, das ihm abhanden gekommen war. Das er nie wiederbekommen würde.
Gleich am ersten Morgen nach seiner Rückkehr waren zwei Beamte an Bord gekommen und hatten verkündet, die
Segura
sei unter Quarantäne und solle liegenbleiben. Veitch war wegen Bolithos verzweifeltem Zustand besorgt, und zwei von seinen Männern waren desertiert. Das mochte Zufall sein, aber… Sofort hatte er sich überlegt, wie er auslaufen konnte, bevor irgendwelche we iteren untragbaren Beschränkungen einsetzten. Ein paar Tage lang kümmerte sich anscheinend niemand um die
Segura
;
die gelbe Quarantäneflagge wehte am Mast, die Moral der kleinen Mannschaft ging in die Brüche, der Proviant wurde immer knapper.
Beim Zuhören fragte sich Bolitho, ob Yves Gorse, der französische Agent, etwas davon gehört hatte, daß die
Segura
unter falscher Flagge segelte. Anscheinend hatte er dafür gesorgt, daß sie bleiben mußte; mehr jedoch konnte er kaum tun, um sie aufzuhalten, bis er der zuständigen Stelle Nachricht geben konnte, daß Frankreichs Feinde nicht mehr in Gibraltar oder vor Toulon lagen, sondern in Malta. Setzte er sich stärker ein, so lief er Gefahr, sich als französischer Spion zu stark zu exponieren.
Dann nahm Allday die Erzählung auf. »Als nächstes kamen zwei Mann als Wache an Bord. Mr. Plowman meinte, jetzt sei es Zeit abzuhauen, denn die an Land würden nicht mehr so scharf aufpassen, wenn jemand von der Behörde verantwortlich war.«
Bolitho gelang ein schwaches Lächeln. Als ehemaliger Sklave nhändler mußte Plowman mit dergleichen Bescheid wissen.
»Eines Nachts kam Wind auf, kräftig. Jetzt oder nie, sagte Mr. Plowman; also kappten wir das Ankertau und setzten Segel.«
»Und die Wachen?«
Allday grinste. »Wir trafen zwei Tage später ein Genueser Handelsschiff, dem gaben wir sie mit.« Dann wurde er wieder ernst.
»Mit dem hatten wir Glück. Wir hörten bei der Gelegenheit, daß ein französisches Kriegsschiff in der Nähe sei. Eine Korvette, der Beschreibung nach. Ob sie auf der Suche nach uns war oder mit dem Agenten in Malta Verbindung aufnehmen wollte, wußten wir nicht.« Er strich die Decke glatt. »Wir hatten ja auch andere Sorgen.«
Bolitho fuhr sich durchs Haar. »Bringt mehr Licht. Ich muß aufstehen. Aber wieso drei Wochen?«
»Wir haben in einer kleinen Bucht an der Südküste von Sizilien gelegen. Die Sturmbö, die uns beinahe wieder in das verdammte La Valetta hineingefegt hätte, war ziemlich stark, aber sie hat nicht lange gedauert. Nur Sie wären uns beinahe gestorben, Sir.«
Jetzt brachte Breen die zweite Laterne. Er war besser dran als die anderen; er brauchte sich nicht ständig zu bücken.
Bolitho schwang die Beine über die Koje und ließ sich von Al lday zu dem zerbrochenen Spiegel führen. Er sah seine hohlen Wangen, den fiebrigen Glanz der Augen, das befleckte Hemd.
»Ich will euch nicht sagen, was ihr hättet tun
sollen«
,
bemerkte er bedeutsam.
Veitch zuckte die Achseln. »Wir wußten ja nicht, was sich zwischen Ihnen und dem Franzosen abgespielt hatte, Sir. Aber das war mir auch ganz egal«, betonte er grimmig. »Mir ging es zuallererst um Ihr Leben.«
Bolitho sah Veitchs Spiegelbild in die Augen. »Ich danke Ihnen dafür.«
Allday berichtete weiter: »Wir sichteten die Korvette ein paarmal, aber sie kam nicht näher an unseren kleinen Ankerplatz heran. Auf jeden Fall segeln wir jetzt mit Nordkurs auf Syrakus. Mr. Veitch sagt, wir sollen lieber bei Nacht segeln. Dieser alte Eimer kann sich mit keiner französischen Korvette einlassen.«
»Gewiß.«
Bolitho rieb sich das Kinn. Rasieren und ein Bad – das war jetzt sein höchster Wunsch.
»Gestern früh«, fuhr Allday fort, »flößte ich Ihnen ein bißchen Brandy ein, und
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