Eine Liebe in Paris
verbringen. Marie hatte mein kurzes Zögern wohl bemerkt, denn sie zog meinen Arm ein weniger fester an sich.
»Von denen hat keiner die Einladung direkt von Wolff erhalten, darauf kannst du Gift nehmen«, sagte sie, um mir Mut zu machen. Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück.
Ava. Toller Name. Du bist anders
, hatte Jean-Loup am Flughafen gesagt, als wir uns verabschiedeten, und nun hatte uns das Schicksal wieder zueinandergeführt. Du bist anders, wiederholte ich in Gedanken und dachte an seine Augen, die mich an ein Toffee erinnerten. Hieß das nicht schon: Ich will dich unbedingt wiedersehen? Mein Herz schlug mir mit jedem Schritt, den wir uns der Galerie näherten, höher, und meine Eingeweide verknoteten sich vor Panik. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle eine Toilette aufsuchen zu müssen. Stattdessen rieb ich meine Hände aneinander, deren Handflächen feucht waren.
»
Marie! Que tu es belle. Et qui est cette charmante jeune fille? Est-ce bien ta fille, Camille?
«, fragte eine hochgewachsene Frau, die uns kommen sah und die sich daraufhin von ihrer Gruppe vor der Galerie löste. Ihr noch jugendliches Gesicht stand in einem überraschenden Gegensatz zu ihren dichten weißen Haaren, die sie lang und offen trug.
Marie lachte. »Nein, das ist nicht meine Tochter. Das ist ein Gast – Ava, die Tochter meiner deutschen Brieffreundin. Camille ist bei Henri daheimgeblieben, weil sie morgen den ganzen Tag tanzen will. Oder besser gesagt:
muss
. Ihre Prüfung für die
École de Ballet
ist in drei Monaten.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Du machst das richtig. Obwohl es nie wieder eine
Étoile
wie dich geben wird. Diese jungen Dinger muss man zu ihrem Glück zwingen.«
So alte Dinger wie dich auch, dachte ich und fühlte mich ganz unvermutet mit Camille solidarisch.
»Ava, das ist Charlotte, Wolffs Galeristin. Sie hat ihn gemacht, wenn man so möchte, und wacht nun mit Argusaugen über ihn.«
Charlotte nickte mir zu und lachte. »Unsinn,
gemacht
. Ich kenne keinen anderen Künstler, der, kaum aus der Hochschule entlassen, mit einem solchen Feuer, solcher Disziplin und solcher Bestimmtheit arbeitet. Er ist doch gerade erst Mitte zwanzig,
mon Dieu
, was er noch für eine Karriere vor sich hat! Aber jetzt geht rein. Dein Porträt ist übrigens bereits zum Höchstpreis reserviert, Marie. Wolff hat viele Komplimente dafür erhalten.«
Sie ging mit uns in Richtung der offenen Glastür und ich betrat den Raum vor Marie. Die Luft war mit Stimmengewirr erfüllt und Kellner schoben sich im Schulterschluss zwischen den Gästen hindurch und balancierten dabei mit ausdruckslosen Gesichtern Tabletts mit Champagnergläsern und kleinen Häppchen darauf. Mein Magen knurrte, doch sie blickten einfach durch mich hindurch. Ich sah mich Hilfe suchend nach Marie um, doch sie war plötzlich verschwunden, und als ich sie entdeckte, schien sie tief in ein Gespräch verwickelt.
Was jetzt? Ich trat von einem Fuß auf den anderen und mir wurde trotz der offenen Tür und der kühlen Abendluft in meinem Rücken heiß. Ich hätte wirklich Lust auf etwas zu trinken, denn wenigstens könnte ich mich dann an einem Glas festhalten, aber die Kellner schwirrten immer genau an mir vorbei und meine Hand ausstrecken wollte ich nicht.
»
Santé
«, sagte da eine leise Stimme und ich fuhr herum. Wolff stand neben mir und trotz der Hitze im Raum wurde mir mit einem Mal kalt. Mein Mund wurde trocken, als er mich so freundlich anlächelte und sich die Lichter der Galerie in seinen dunklen Seenaugen spiegelten.
»Schön, dass du gekommen bist, Ava. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben«, sagte er, hob sein Champagnerglas und nippte daran.
»Nein, nein, ich …«
»Magst du ein Glas Champagner? Ich Trottel, ich sehe jetzt erst, dass du ja gar nichts zu trinken hast. Ein Skandal. Komm, ich bediene dich.«
»Sicher«, sagte ich und ärgerte mich über diese schulmädchenhafte Antwort. »Gerne, danke«, verbesserte ich mich. Ein Kellner machte neben uns halt und Wolff reichte mir ein Glas.
»Wie gefallen dir meine Bilder?«
»Ich konnte mich noch nicht umsehen.«
Er lachte. »Da ist wieder Ava, das Mädchen aus dem Flugzeug, dessen überraschende Gedanken ihm einfach so als Worte aus dem Mund purzeln. Bewahr dir das, Ava. Das erinnert mich an ein Märchen, das ich als Kind einmal gehört habe.«
»Wie heißt es?«
Er überlegte. »Ich glaube, Gold-Marie und Pech-Marie. Jedes Mal wenn die hübsche Gold-Marie ihren Mund zum Sprechen
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