Eine Liebe in Paris
Rentnerporschen durch die Gänge, die sie schnell mit Vorzugsangeboten von Danone-Vanille-Joghurt oder anderen Leckereien füllten. Ich wollte nur Zitronen, doch es kostete mich eine Weile, bis ich endlich das Obst und Gemüse gefunden hatte. Alles sah aus wie gemalt, jede Erdbeere schien handverlesen, und einen der Äpfel musste ich anfassen, denn er leuchtete unwirklich rot. War er ausPlastik? Nein, es war ein echter Apfel, und nun, da ich ihn berührt hatte, wollte ich ihn auch kaufen.
Wo waren die Zitronen? Ich ging um eine junge, sehr schlanke und schwarz gekleidete Französin herum, die jede einzelne Weintraube dreimal umdrehte, ehe sie sie in ihre durchsichtige Plastiktüte gleiten ließ und diese abwog. Dahinten neben den Limonen und den Ananas leuchtete es gelb. Wie viele Zitronen brauchte ich wohl bis morgen Abend? Ich packte ein halbes Dutzend ein, und schon von ihrem Anblick zog es mir den Magen zusammen, aber was sein musste, musste sein. Ich ging langsam durch die endlosen Gänge zur Kasse, ohne die Angebote rechts und links in den vollen Regalen zu beachten.
Plötzlich füllte sich meine Nase mit dem köstlichsten Duft, den ich je gerochen hatte, ich stand vor der hauseigenen Bäckerei des Supermarkts. Vor dem Schalter bildeten die Menschen eine Schlange, um Brot oder
Patisserie
zu kaufen, und aus einem Schacht oberhalb der Regale blies warme Luft aus der Backstube in den Gang. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen, und ich reckte den Hals, um das Angebot der Bäckerei besser zu begutachten. Bisher hatte ich die französischen
Patisserien
nur im Vorbeigehen gesehen und nicht sonderlich beachtet. Aber hier saß ich in der Falle: Mein Magen war leer und in meiner Hand hielt ich nichts als eine Tüte voll giftig gelb leuchtender Zitronen und einen knallrot glänzenden Apfel.
»
Vous desirez, Mademoiselle?
«
Ich zuckte zusammen, als sich alle anderen Menschen, die am Schalter warteten, nach mir umdrehten. Der junge Bäcker meinte mich! War ich denn schon dran? Ich musste länger als gedacht sehnsuchtsvoll vor dem Gebäck gestanden haben.
»
Hm, rien, merci
.« Nichts, danke. Nur schnell weg!
»
Vous êtes sûr?
« Der junge Bäcker lächelte mich an. Nein, sicher war ich mir nicht, als mein Blick wieder wie magisch von der Auslage angezogen wurde. Schon die Namen klangen viel köstlicher als in Deutschland: Die
Millefeuilles
, zwischen deren feinen Blätterteiglagen die Sahne quoll, die
Éclair
, die in Vanille, Café oder Schokolade erhältlich waren, die köstlich dunklen
Opéra
, golden gebackene
Pains aux raisin
, mit Puderzucker bestäubte
Pains aux amandes
und zarte, buttrige
Croissants
. Himmel, sah das alles gut aus!
»
Alors?
«, fragte der Bäcker wieder.
Ich war verloren und jeglicher Widerstand zwecklos. Ich klemmte mir die Tüte mit den Zitronen unter den Arm und meine Hand zückte wie ferngesteuert den Geldbeutel.
»Ein
Pain aux Amandes
, bitte«, sagte ich und zeigte auf das größte und am meisten mit Puderzucker bestäubte Gebäckstück.
Der junge Bäcker ließ es mithilfe einer Greifzange in eine Papiertüte gleiten.
»
Et voilà
. Einen schönen Abend noch,
Mademoiselle
.«
Ich nickte zum Abschied und biss in das
Pain aux Amandes
, ehe ich den Supermarkt verlassen hatte. Die Zitronen bezahlte ich, aber fügte beim zweiten Biss in mein
Pain auxAmandes
in Gedanken Henri Lefebvres Weisheit noch eine weitere hinzu: Das Leben war nicht nur zu kurz, um einen Renault Mégane zu fahren, sondern es war auch viel zu kurz, um nichts als heiße Zitrone zu trinken, selbst wenn es nur vierundzwanzig Stunden lang sein sollte! Während ich das
Pain aux Amandes
aß, beschloss ich, auf den Pickel am Abend Zahnpasta zu schmieren, das würde ihm den Garaus machen.
Am Freitag konnte ich in der Klasse kaum still sitzen. Kurz vor der letzten Doppelstunde – es war wieder Monsieur Ducreux, der uns weiter über das Ende des Zweiten Weltkriegs unterrichtete – fragte Solène mich: »Was ist denn mit dir los?«
»Nichts, weshalb?«
»Du zappelst die ganze Zeit. Bist du wegen des Tests nervös, den Ducreux uns gleich schreiben lässt?«
»Test? Welcher Test denn?«
»Na, über den D-Day und die Vorteile des Marschallplans gegenüber dem Morgenthau-Plan.«
Das war mir glatt entgangen. Seit der Kunststunde, in der ich Jean-Loup wiedergesehen hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Solène deutete mein Schweigen offensichtlich als Bestürzung, denn sie lächelte mich
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