Eine Liebe in Paris
Knochen kunstvoll arrangiert haben. Lass es uns zusammen anschauen. Dann kannst du dort Geister jagen.«
Ich lachte und war froh, nach den starken Gefühlen eben am Fluss über normale Dinge zu sprechen. Es gab mir das Gefühl, wirklich seine Freundin zu sein, und zwar in allen Lebenslagen.
»Was hast du denn heute noch gemacht?«, wechselte ich das Thema.
Er seufzte. »Ich habe nur gemalt. Charlotte bereitet schon die nächste
Vernissage
in ihrer Galerie vor und die Messen in Basel und New York stehen an. Sie vertritt mich dort und ich habe einen neuen Vertrag mit ihr geschlossen.«
»Was für einen Vertrag?«
»Ach, Vertrag kann man das nicht nennen. Sklaverei wäre der bessere Ausdruck«, grinste er und zog einen Schlüssel aus der Tasche seiner Jeans, als wir vor einem schmalen Haus in der
Rue du Pavé
ankamen. »Sie hat mich praktisch bei sich an die Wand gekettet und mein Leben lang in die Pflicht genommen.«
»Wirklich?«, fragte ich erschrocken, sodass Wolff wieder lachte.
»Ich muss im Jahr zwölf Bilder malen«, erklärte er.
Er musste mir angesehen haben, dass ich zwölf Bilder im Jahr keine allzu harte Arbeit fand, denn er streichelte kurz meine Wange. Es war nicht mehr als ein flüchtiger Finger auf meinem Gesicht, aber auf meinem ganzen Körper bildete sich eine Gänsehaut, und mir wurde heiß. Er sagte: »Kleine Ava, sich jeden Morgen wieder hinzustellen und zuverlässig seine Träume auf die Leinwand zu malen, ist gar nicht so leicht, wie du denkst. Aber jetzt komm.«
Er gab einen Code in das Feld neben der Haustür ein, und ich wollte dabei eigentlich nicht hinsehen, aber tat es irgendwie aus Versehen doch: Der Code war 2710, was leicht zumerken war, denn es war mein Geburtsdatum. Was für ein Zufall, dachte ich, aber verkniff mir gerade noch eine Bemerkung darüber.
Es machte leise »klick« und er drückte die Tür auf. Im Gang war es kühl unter der hohen Decke. In den schwarz-weißen Fußboden war ein Mosaik von einem sechsbeinigen Hund, der zähnefletschend Feuer spuckte, eingelassen.
Attention au chien
stand darüber geschrieben.
»Ich habe die Wohnung wegen des Mosaiks gekauft. Es sieht aus wie ein Wolf, findest du nicht?«
Ja, es sah tatsächlich fast aus wie ein Wolf, und in diesem Augenblick wurde mir bewusst, was gerade geschah: Ich ging mit Wolff hoch in seine Wohnung und ich würde dort ganz allein mit ihm sein. Wollte ich das? Vertraute ich ihm genug, um das zu tun? Ich zögerte, und Wolff drehte sich nach mir um, ohne mich loszulassen.
»Was ist?«, fragte er mich leise an meinem Ohr.
»Ich weiß nicht. Ich habe Angst.«
Würde er mich auslachen? Nein. Er führte meine Finger an seine Lippen und küsste mir die Kuppen.
»Angst? Wovor? Vor mir etwa?«
Es gelang mir zu nicken.
»Jetzt weiß ich nicht, ob ich geschmeichelt oder beleidigt sein soll.«
»Beides wahrscheinlich.«
»Also, kleine Ava«, sagte er, umarmte mich und drückte mir zärtlich einen Kuss auf die Haare, ehe er weitersprach.»Du musste keine Angst vor mir haben. Nie und nimmer. Du musst auch nicht mit mir hochkommen, wenn du es nicht willst. Aber wenn du mit mir gehst, dann wird da oben auch nichts passieren, was du nicht willst. Ich koche für dich. Das ist alles, ich verspreche es dir.«
Seine Augen leuchteten mich warm im Dämmerlicht des Treppenhauses an und der Druck seiner Finger unterstrich seine Worte. Ja, ich vertraute ihm, und ja, ich wollte mit ihm nach oben in sein Atelier gehen.
»Kommst du?«, fragte er.
Ich nickte stumm und er lachte. »Also gut. Dann wollen wir mal sehen, wer als Erstes oben ist. Auf die Plätze, fertig, los!«
Er rannte wie im Flug die Treppe rauf und nahm bei jedem Satz zwei Stufen auf einmal, und ich lief ihm nach, höher und immer höher: erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock, vierter Stock. Im fünften Stock ging mir die Puste aus und ich musste mich auf die Treppe setzen.
»Ist es noch weit bis zu deiner Wohnung?« Ich sah nach oben. Die Stufen führten noch bis zu zwei weiteren Stockwerken. Wolff ließ sich neben mir nieder und legte seinen Arm um meine Schultern.
»Nein. Ich wohne ganz oben. Wir haben es fast geschafft, komm. Für meine Malerei brauche ich das Oberlicht von Norden. Außerdem ist jeder Mensch entweder ein Maulwurf oder ein Vogel. Gleich sind wir in meinem Atelier und es gibt den Lohn für all die Mühe.«
Er zog mich hoch, sodass mein Körper seinen streifte. Einen Augenblick lang waren sich unsere Gesichter wieder ganz nahe, so
Weitere Kostenlose Bücher