Eine Liebe in Paris
nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Stirn spürte. Mein Herzschlag stockte, als mein Blick in seinen Augen versank. Sie waren so dunkel wie das Meer um Mitternacht und glänzten so, als hätten sie alle Sterne verschluckt. Seine Finger flochten sich um meine und mein Herz schlug nun so stark, dass es sich bestimmt unter meinem engen Pulli abzeichnete.
»Komm«, wiederholte er heiser. »Komm, ich zeige dir mein Atelier. Ich zeige dir, wie ich lebe.«
Er zog mich die letzten beiden Treppen hoch, und mir wurde durch die Berührung seiner Hand heiß und dann wieder kalt, bis wir vor seiner Wohnungstür ankamen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er mich und sein Blick war wie eine Berührung.
Ich nickte zaghaft.
»Keine Angst, ich beiße nicht«, sagte er mit einem weichen Lachen und sperrte auf.
»Willkommen in meinem Atelier, Ava«, sagte er, ehe er das Licht anschaltete und ich mitten in seiner Welt stand. Der Raum war hell und weit und aus einem großen Oberlicht, das beinahe die gesamte Decke des Ateliers einnahm, sah man direkt in den Himmel über Paris, der sich nun mit Wolken bedeckte.
Unter dem Oberlicht stand eine leere Staffelei und alle Leinwände waren mit ihrem Gesicht zur Wand gedreht. Aufden breiten Holzdielen lagen Zeitungen, Briefe, Kataloge von Ausstellungen, Skizzen und mit bunten Farbflecken versehene Lappen und Kleider. In einer Ecke stapelte sich auf der kleinen Küchenzeile neben dem mannshohen und tiefroten Kühlschrank das Geschirr und weiter hinten führte eine Wendeltreppe hoch auf eine Empore, auf der ich ein sehr breites Bett sah. Es war frisch gemacht und die neuen, glatt gezogenen Laken standen in einem verblüffenden Gegensatz zu dem künstlerischen Chaos im Rest des Ateliers. Ich wandte rasch den Blick ab und schaute mich weiter um, was meine Röte hoffentlich verbarg. Hinter der einzigen anderen Tür in dem großen Raum musste das Badezimmer sein.
»Kann ich?«, fragte ich und zeigte auf die Tür.
»Bitte.«
Im Badezimmer atmete ich erst einmal tief durch und versuchte, meinen Atem zu beruhigen und meinen Herzschlag eine Stufe herunterzuschalten. Ich ließ mir eiskaltes Wasser über die Handgelenke und die Pulsadern laufen, nicht anders, als wenn ich in Augsburg mit Mogens im Eiskanal schwimmen ging. Es half ein wenig, doch im Spiegel sah ich mir selber mit vor Aufregung glühenden Wangen und erregt blitzenden hellgrünen Augen entgegen. Nur die Ruhe, Ava. Cool bleiben, mahnte ich mich, was natürlich vollkommen umsonst war.
Ich hörte Wolff draußen rumoren und meine Finger strichen kurz über seine Kosmetik auf der Ablage unter dem Spiegel. Viel war da nicht, denn zum Kämmen seiner Lockenbenutzte er eindeutig seine wunderbaren Künstlerhände: Eine elektrische Zahnbürste, Creme und eine große Flasche
Terre
von Hermès. Das Parfum sah in dem getönten Flakon aus wie flüssiges Gold. Ich öffnete den Verschluss und schnupperte daran. Was für ein köstliches Parfum. Es roch nach Morgengrauen im Himalaja und Sonnenuntergang am Kap der Guten Hoffnung, fand ich, als ich den Duft nach Sandelholz einsog.
Dann hielt ich die Flasche überrascht hoch und roch noch einmal daran. Der Duft kam mir plötzlich bekannt vor und ich wusste auch woher: Es war dasselbe Parfum, das Marie Lefebvre benutzte. Seltsam. Ich stellte die Flasche vorsichtig auf die Ablage über dem Waschbecken zurück und ging wieder in das Atelier.
»Du kommst gerade recht«, sagte Wolff und sah auf, als er die letzte Kerze anzündete.
Ich stand vor Staunen still in der Badezimmertür. Er hatte rund um im Atelier Blockkerzen aufgestellt, deren Flammen den Raum in ein weiches flackerndes Licht tauchten. Aus dem iPod neben der leeren Staffelei drang leise Musik, die ich nicht kannte.
»Wer ist das? Was Neues von
Neige de Juilliet?
«
»Nein. Was viel Älteres, das ich aber wegen seiner Intensität liebe. Ein Russe namens Vladimir Vissotski.«
»Weshalb hast du deine Bilder weggedreht?«
»Weil ich manchmal Ruhe vor meinen Träumen und den Bildern in meinem Kopf brauche. Oder weil sie mich manchmalmit ihrer ständigen Anwesenheit ärgern und ich sie dann zur Strafe wegdrehe.«
Er streckte die Hand aus und ich fasste seine Finger.
»Komm. Hast du noch Hunger?« Seine Stimme klang wieder heiser. »Du musst noch Hunger haben.«
Ehe ich etwas erwidern konnte, hatte er mich an sich gezogen und küsste mich wieder.
»Ava«, flüsterte er noch, ehe sich sein Mund auf meinen legte. Sein Kuss war erst behutsam, er
Weitere Kostenlose Bücher