Eine Liebe wie Magie
7
Noah wollte gerade nach der Türklinke von Hatchard’s greifen, als ein anderer Kunde die Türe aufstieß und hinaustrat. Er wich zurück und führte die Hand zum Gruß an seinen Biberfilzhut, und eine schlanke Dame, deren Gesicht von dem schwarzen Schleier ihres Kiepenhutes verdeckt war, trat in Begleitung eines Bediensteten heraus. Dann ging er hinein.
Hatchard’s lag auf der Südseite der Piccadilly Street, gegenüber dem großen gepflasterten Torweg zum Burlington House und dem angrenzenden früheren York House, das kürzlich renoviert worden war und nun mit seinen neu geschaffenen Junggesellenappartements als >The Albany< bekannt war. Entlang des Gehweges vor dem Geschäft waren Bänke aufgestellt, damit die Bediensteten sich hinsetzen und warten konnten, während die Herrschaft drinnen ihre Wahl traf. Wie es zu dieser Tageszeit üblich war, herrschte in dem Geschäft reges Treiben, denn Hatchard’s war nicht nur eine Bücherei, sondern auch ein Treffpunkt, wo man die Nachrichten des Tages diskutieren konnte, die von den vielen Zeitungen geliefert wurden, die überall verstreut auf den Tischen vor dem Kamin lagen.
Noah stand da und sondierte das Gebiet eine Weile, bis er einen Angestellten erblickte, dessen Arme die Last der Bücher kaum noch tragen konnten und der sich verzweifelt einen Weg durch die Kunden bahnte, bemüht, seine kostbare Fracht nicht zu verlieren.
»Entschuldigen Sie bitte ...«
»Einen Augenblick, Sir«, sagte der Mann und ging eilig weiter.
Es dauerte tatsächlich eine Viertelstunde, bis der Verkäufer endlich Zeit für ihn hatte.
»Ich möchte mich entschuldigen, Sir. Wir sind heute leider ein wenig überlaufen. Suchen Sie einen bestimmten Titel?« »Eigentlich bin ich nicht wegen eines Buches hier. Es würde mich vielmehr interessieren, ob Sie mit einigen Ihrer Stammkunden vertraut sind.«
Der Verkäufer nickte. »In der Tat, Sir. Mr. Hatchard fordert von allen seinen Angestellten, daß wir seine besten Kunden und ihre besonderen Interessen kennen. Dann kommen sie wieder, sagt er immer.«
Noah nickte. »Ich suche eine Dame, von der mir gesagt wurde, daß sie Ihr Geschäft regelmäßig aufsucht.«
Der Verkäufer sah ihn an und wartete, daß er fortfuhr.
»Ihr Name ist Lady Augusta Brierley.«
Der Mann nickte begeistert. »Oh, ja. Lady Augusta kommt sehr oft hierher. Sie ist eine eifrige Leserin. Tatsächlich ist sie eine von Mr. Hatchard's besten Kunden.«
»Und wissen Sie, ob sie kürzlich hier war?«
»Ja, Sir, allerdings. Zufällig ist sie gerade jetzt hier.«
Noah verspürte ein merkwürdiges Gefühl. Eine beunruhigende Woge, die sein Innerstes durchströmte. »Lady Augusta Brierley ist hier, sagen Sie? In diesem Moment? Können Sie sie mir zeigen?«
Der Verkäufer durchforstete mit den Augen die Menge der Kunden. »Hm, ich kann sie hier nicht finden« — er suchte weiter —, »aber vielleicht hat sie sich nach oben zurückgezogen. Lady Augusta bevorzugt die älteren Ausgaben und sucht sich gerne eine ruhige Ecke, wenn sie einen besonders interessanten Titel gefunden hat. Sie können dort nachsehen, während ich versuche, ob ich sie hier unten finden kann.«
Der Verkäufer wollte sich schon entfernen, um seiner Aufgabe nachzukommen, aber Noah hielt ihn zurück. »Eigentlich kenne ich Lady Augusta nicht persönlich. Könnten Sie sie mir vielleicht beschreiben?«
Der Verkäufer schien mit seiner Antwort zu zögern. »Sie ist, äh, wie soll man sagen, ähm, Lady Augusta ist anders. Sie kleidet sich nicht wie die anderen Damen.«
Wieder dieses Wort: anders. Genau wie Amelia und Tony sie beschrieben hatten. Was hatte diese Dame, daß sie eine solche Auszeichnung verdiente? Sie hatte Arme, Beine, einen Kopf— oder? »Ich dachte eher an eine äußerliche Beschreibung, zum Beispiel die Haarfarbe oder die Form ihres Gesichtes.«
Jetzt zögerte der Verkäufer wirklich. Tatsächlich war er für gute zehn Sekunden still. »Es tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir.«
»Wie bitte? Sagten Sie nicht, daß sie Lady Augusta kennen?« »Jawohl, Sir.«
»Aber Sie können mir nicht sagen, wie sie aussieht?«
»Nein, Sir.«
»Darf ich fragen, weshalb?«
»Weil ich sie niemals wirklich gesehen habe, Sir.«
Noah verlor langsam die Geduld. »Nun, dann könnten Sie mich vielleicht an einen Kollegen verweisen, der mir sagen kann, wie sie aussieht.«
Der Verkäufer schluckte nervös bei Noahs gereiztem Ton. »Es tut mir leid, aber das geht ebenfalls nicht, Sir.
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