Eine Liebe wie Magie
oder Witwe vom Stande. Sie analysierte, was man für erfolgversprechend halten konnte und was nicht, wobei sie geistig die Ergebnisse zum Vergleich katalogisierte. Sie hatte sogar ihren altertümlichen Lesestoff aufgegeben, um trivialere Romane zu lesen - unter ihnen Mrs. Radcliffe und Maria Edgeworth.
Deswegen verstand sie jetzt auch, weshalb Charlotte sie immer so verständnislos ansah, wenn sie beispielsweise ihre bequemen Halbschuhe zum Spazierengehen anziehen wollte. »Außer beim Reiten «, so Mr. Bell, »sollte eine Dame Slipper an ihren zierlichen Füße tragen .« Doch Mr. Bell hatte nicht dazugesagt, was eine Dame tragen sollte, deren Füße etwas mehr als »zierlich« waren. Ganz zu schweigen von einer Dame, die ihre Kindheit damit verbracht hatte, in der Takelage und auf Mastbäumen herumzuklettern.
Aber Augusta hatte jetzt zumindest ein fundiertes Wissen über die Rolle der Frau, mindestens ausreichend genug für die Aufgabe, die sie sich für den Abend vorgenommen hatte. Und da sie vorbereitet war, konnte sie nun mit der Konstruktion ihres neuen Ichs beginnen. Aber wie sollte sie ihr Wissen umsetzen, wo doch die Mittel, die ihr zur Verfügung standen, so begrenzt waren? Offensichtlich brauchte sie Hilfe.
»Mylady.«
Augusta sah zur Tür, wo plötzlich Charlottes persönliche Kammerzofe stand. Sie war so in ihren Gedanken versunken, daß sie sie nicht eintreten gehört hatte. »Ja, Lizette?«
»Meine Lady Trecastle wünschte mich zu fragen Sie, ob Sie bereit wären für die Kutsche um acht Uhr?«
Augusta lächelte. Das Dienstmädchen war jung, hübsch und vor allen Dingen Französin. Frisch aus Paris war Lizette in den Trecastle-Haushalt gekommen, kurz nachdem Charlotte Marquise geworden war. Ihre Fähigkeiten, zu frisieren und einen perfekten Stich zu nähen, waren unvergleichlich. Ihre Geschicklichkeiten in der englischen Sprache waren jedoch nicht ganz so ermutigend.
»Danke Lizette. Bitte richte der Marquis aus, daß ich fertig sein werde.«
Das Dienstmädchen machte einen Knicks und wollte sich entfernen.
»Lizette«, rief Augusta, bevor sie auf dem Flur verschwunden war.
»Oui, Mylady?«
»Was hast du mit Lady Trecastles neuem Kleid gemacht?« Lizette antwortete mit einem verunsicherten Blick. »Kleid, Mylady? Was für ein Kleid meinen Sie?«
»Das Kleid, das ihr gestern nachmittag von ihrem Schneider geliefert wurde. Das, mit dem sie so unglücklich war. Ich glaube, du solltest es wegwerfen. Hast du?«
Lizette biß sich auf die Lippe, unentschlossen, ob sie Augusta anlügen oder ihr beichten sollte, daß sie das Kleid für sich behalten hatte, anstatt es wegzuwerfen, wie ihr befohlen war. Augusta nahm ihr die Entscheidung ab.
»Lizette, wenn du das Kleid noch hast, würde ich dir gerne einen Vorschlag machen.«
»Vorschlag, Mylady?«
Augusta versuchte es auf Französisch.
»Oui, un arrangement.«
Lizette nickte. »Oui, un arrangement. Qu’est-ce que c’est que
ca?«
»Ich würde Lady Trecastles Kleid gerne heute abend anziehen — aber nur für diesen Abend, und danach würdest du es zurückbekommen. Ich weiß, daß Lady Trecastle dir befohlen hat, es wegzuwerfen, aber ich kann nicht glauben, daß sie wirklich meinte, du solltest einen solch feinen Stoff ruinieren.
Wenn aber doch, so kann sie sich nicht aufregen, wenn ich ihr sage, daß ich es haben wollte. Dann, nachdem ich es heute abend getragen habe, werde ich Lady Trecastle erzählen, daß ich es dir gegeben hätte, weil ich mich entschieden hätte, daß es mir auch nicht mehr gefällt. Auf diese Weise wird sie dir nicht böse sein, wenn du es behältst. Hast du verstanden?« Lizette hörte Augusta aufmerksam zu, und ihre Augen wurden größer, je mehr sie begriff. »Oui, Mylady, ich verstehe. Sie haben recht. Ich glaube, ich habe das Kleid immer noch. Ich gehe und bringe es Ihnen.«
Minuten später kehrte Lizette zurück, das Kleid elegant über den Arm gelegt. »Hier ist es, Mylady. Ich verspreche Ihnen, ich habe es nicht getragen.«
Augusta nahm das Kleid und hielt es sich an. Die kostbare rubinrote Seide liebkoste flüsternd ihre Fingerspitzen als sie es berührte, und das passende Satinband, das es dekorierte, schimmerte in der Nachmittagssonne, die durch die Fenster hereinschien. Es war ein zu schlichtes Design für Charlotte, nicht annähernd genug Volants, um ihrem hochtrabenden Geschmack gerecht zu werden. Doch mit einigen wenigen bescheidenen Änderungen würde es für Augusta seinen Zweck für den Abend
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