Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
konservativ-nationale Politiker, Historiker und nicht nur sie als mutige, aufgeklärte Tabubrecher, wenn sie es unternehmen, die Epoche des Nationalsozialismus innerhalb der Geschichte einzuordnen und sie als verständliche oder notwendige Folge welthistorischer Ereignisse zu relativieren. Aber zwischen diesen »Tabubrechern« und der Infragestellung von Tabus im aufklärerischen Sinne liegen Welten. Für die Aufklärer ging und geht es darum, sich mit Denkhemmungen und Vorurteilen auseinanderzusetzen, Probleme offen zu besprechen, an erstarrten Idealen, die längst nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen, Kritik zu üben, was natürlich in der DDR wie in jeder Diktatur kaum möglich war, aber oft genug auch von Politikern abgewehrt wird, denen es durchaus möglich ist, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist, und auf diese Weise überholte Tabuisierungen aufzulösen. Tabus im Hinblick auf den Völkermord aufbrechen zu wollen geschieht dann in der Absicht, die Wirklichkeit dieser Vergangenheit erneut zu leugnen bzw. die Gesellschaft dazu aufzufordern, doch keine Scheu mehr davor zu haben, »gesundes Volksempfinden« (beispielsweise Ausländern und Juden gegenüber) zu äußern, was auch heißt, Projektionen und Vorurteile als rechtmäßig zu erleben. In der Folge solcher falsch verstandenen »Aufklärung« können dann rohe Gefühle und primitive Denkweisen sich wieder unverhüllt äußern.
Eine deutsche Art zu lieben – in Ost- und Westdeutschland
Die Frage, ob und inwieweit die Deutschen heutzutage zur Trauer über ihre unglückliche Vergangenheit fähig seien, kann ich nur unvollständig beantworten. Das Lob des »Herrenmenschentums« und den Männlichkeitswahn, die das Dritte, aber auch schon das Zweite Reich beherrschten, gibt es bei radikalisierten, auch verwirrten Jugendlichen in Ost und West, sonst in der Öffentlichkeit kaum noch. Es ist aber anzunehmen, dass alte Ideale dieser Art im Verborgenen weiter existieren, denn erneut wird mancherorts versucht, anknüpfend an das Reich Bismarcks und an Identifikationen mit dem Militärstaat Preußen, deutsches Nationalgefühl wiederherzustellen.
Die Neigung zu idealisieren war in Deutschland größer als in irgendeinem anderen Land, das ich kennengelernt habe. In dem Buch Die Unfähigkeit zu trauern von 1967 haben Alexander Mitscherlich und ich von»einer deutschen Art zu lieben« gesprochen [106] . Damit war gemeint, dass viele Menschen nur lieben, was sie idealisieren können. Auch die Menschen selber verlangen von sich, perfekt sein zu müssen, um geliebt zu werden. Von der Idealisierung zur Entidealisierung ist es aber nur ein kleiner Schritt, entsprechend von Liebe zu Hass, von der Selbstüberhöhung zum Selbsthass. Hitler wurde in geradezu hysterischer Weise vom größten Teil des deutschen Volkes idealisiert. Mit seinem Ende wurde auch seine Existenz verdrängt, es sollte ihn nie gegeben haben.
In meinem Buch Erinnerungsarbeit [107] , das 20 Jahre später, 1987, erschien, war ich noch davon überzeugt, dass sich an der Unfähigkeit zu trauern in diesem Land wenig geändert habe. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Es gibt Anzeichen dafür, dass das Wissen über die Vergangenheit, über die zwölf Jahre des Massen- und Völkermords, über das Wahnhafte der Naziideale ins allgemeine Bewusstsein der Deutschen eingegangen ist. Auch wenn das Gros der Deutschen, in Ostdeutschland nicht weniger als in Westdeutschland, an das »Tausendjährige Reich« nicht erinnert werden möchte, so scheinen doch zunehmend junge und auch ältere Menschen aus der Vergangenheit gelernt zu haben und sich in großer Offenheit mit der Barbarei der zwölf Jahre Nationalsozialismus zu konfrontieren. Wie indessen 45 Jahre Diktatur die in der DDR lebenden Deutschen geprägt haben, davon wissen wir noch nicht genug.
Auf der Basis der Verdrängung des Verdrängten lässt sich so etwas wie eine neue deutsche »Identität« nicht aufbauen. Mit dem nationalistisch identifizierten Deutschen, für den ›viel Feind viel Ehr‹ war, dem Selbstironie fremd ist, dessen Hochgefühle sich aus aggressiver Selbstidealisierung zusammensetzen, aus Heldenverehrung, Fremdenhass einerseits, symbiotischen Verschmelzungswünschen und sentimentalen Heimat-Sehnsüchten andererseits, wollen viele Deutsche nichts mehr zu tun haben. Selbstachtung lässt sich durch neuen deutschen Nationalismus offenbar nicht wiederherstellen. Um uns selbst ertragen zu lernen, scheinen wir kaum eine andere Wahl zu haben,
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