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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Mitscherlich
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Folgen verwickelt sind.
    In den alten Bundesländern gibt es anscheinend noch weniger Interesse als in den neuen dafür, dass die »Ideale«, die zu Hitler führten, bereits im Zweiten Reich von mächtigen deutschen Männern vor allem im Preußen Bismarcks, von dessen Vor- und Nachfahren propagiert und von großen Teilen des deutschen Volkes geteilt wurden, dass die alten kollektiven Identifikationen weiterbestehen und es schwer ist, sich von ihnen zu befreien, zumal wenn sie in Gestalt barbarischen Ausländerhasses mittlerweile in Ost und West das gleiche Ausmaß erreicht zu haben scheinen. Aber – so hieß es – wie können wir um etwas trauern, zu dem uns die Hinwendung verwehrt ist?
    Was ist Trauer, was Trauerarbeit? Ich werde im Folgenden immer wieder dazu ansetzen, den Inhalt dieses Begriffs zu klären. Können wir nur trauern, wenn wir die uns verloren Gegangenen geliebt haben? In ihrer Mehrzahl hatten die Deutschen Hitler auf ihre Art geliebt, aber trauerten sie um ihn nach dem verlorenen Krieg, als er zum Antihelden geworden war? Davon war wenig zu spüren. In der Mehrheit verhielten sie sich so, als ob es Hitler, das Nazireich eigentlich nie gegeben hatte. Die zwölf Jahre des Entsetzlichen verschwanden wie ein Spuk. Wie lässt sich das verstehen? Die Deutschen liebten Hitler nicht als einen Menschen, den sie real wahrzunehmen vermochten, oder als jemanden, mit dem sie eine auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung eingegangen waren. Vielmehr war Hitler ein Phantom, gefertigt aus den Wünschen und Projektionen eines ressentimentgeladenen, sich zweitrangig fühlenden Volkes mit Großmachtphantasien. Er verkörperte »das heilige Vaterland« und personifizierte das je eigene überhöhte Ich oder besser Über-Wir, denn individuelle Verantwortung ging im Rausch der Führer- und Vaterlandsbegeisterung der »Herrenmenschen« bekanntlich unter.
    Wenn aber die Deutschen – in Ost wie West – um Hitler nicht trauern konnten, dann waren sie auch unfähig, um den Verlust ihres individuellen und kollektiven Gewissens, ihrer Ideale, Phantasien, Gefühle und Größenvorstellungen zu trauern. Sich von Hitler und von all dem, wofür er stand, ohne Trauerarbeit abzuwenden bedeutete, sich von sich selbst, von der eigenen Person abzuwenden sich selbst und die eigene Vergangenheit zu derealisieren und dadurch untergründig dazu verdammt zu sein, seinen Selbsthass abzuspalten oder zu projizieren.
    Sich von 45 Jahren real existierendem Sozialismus abzuwenden, ohne sich zu erinnern, was er für jeden Einzelnen wie für das Kollektiv bedeutete, hat psychologisch wohl ähnliche Folgen. Das soll nicht heißen, das Hitlerreich und die DDR ließen sich gleichsetzen. Die Vorbedingungen für die Errichtung dieser beiden Staaten sind grundverschieden. Hitler war bekanntlich mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933, dem außer der SPD alle Parteien zustimmten, legal an die Macht gekommen. Er wurde vom Volk gewählt. Bei der letzten freien Wahl bekam er 45 Prozent der Stimmen, später dann 99 Prozent. Bei der Gründung der DDR gab es keine freie Wahl. Die Gründung der DDR war eine Folge des verlorenen Zweiten Weltkrieges und des beginnenden Kalten Krieges. Ohne das Reich Hitlers und seinen Untergang hätte es die DDR nie gegeben. Der größere Teil der Deutschen in der DDR war sicherlich nicht ideologisch vom Sozialismus überzeugt, sondern hat getan, was die Mächtigen forderten, aber ohne die Begeisterung der Menschen im Nazireich. Dieser schiefe Vergleich trägt dazu bei, die psychologische Verständigung zwischen Ost und West zu erschweren. Wenn heute manche »Wessis« den »Ossis« glauben vorwerfen zu können, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit nicht genügend auseinandersetzen, so steckt dahinter nicht nur ein Selbstvorwurf, sondern auch eine historisch nicht aufrechtzuerhaltende Gleichsetzung der DDR mit dem Hitlerreich.
    Wenn mir junge Menschen aus den neuen Bundesländern schreiben, dass sie gern fähiger würden, die Trauer zu erleben, die auf den Verlust der Naziidole hätte folgen sollen, dass ihnen das aber nur möglich sei, wenn sie sich ihrer Liebe zu Hitler und seiner wie ihrer Ideale erst einmal bewusst werden könnten, ist das möglicherweise nicht nur ein Rückfall in alte Naziideologie. Vielleicht versuchen sie damit, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist, sich selbst und ihre Vergangenheit aus der Derealisierung und Verdrängung herauszuholen, damit sie endlich von ihr Abschied nehmen können.
    Die

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