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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Mitscherlich
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als uns schmerzlicher Erinnerung auszusetzen und – sicherlich eine Arbeit von Generationen – erkennen zu wollen, was alles zu dem moralischen Bankrott eines Kulturvolkes geführt hat. Nur indem wir uns, so möchte ich annehmen, mit »Hitler in uns selbst« auseinandersetzen, wird es möglich sein, uns mit uns selbst zu versöhnen. Denn verdrängen wir unsere Geschichte und damit unseren Selbsthass, führt das offenbar dazu, dass Jugendliche in beiden Teilen Deutschlands versuchen, »Hitler« und was für ihn steht, zu neuem Leben zu erwecken, ihren Selbsthass in Fremdenhass zu verwandeln –, worin sie von der schweigenden Mehrheit unterstützt werden.
    Angesichts des zweiten Golfkriegs von 1990/91 standen sich die Deutschen der Bundesrepublik in zwei Lagern gegenüber beziehungsweise, wie Rudolf Augstein schreibt, in zwei Denkschulen. Für die einen war Saddam Hussein ein zweiter Hitler. Jede denkbare Politik sei solchen Menschenfeinden gegenüber machtlos, nur Gewalt und Krieg könnten von Saddam ausgehende Gefahren bannen, so Enzensberger. Bei Hitler und bei Saddam handele es sich um anthropologische Konstanten, die überall und immer auftreten können, wenn der Todestrieb eines Menschenfeindes sich mit den Ressentiments ganzer Völker verbindet, die sich als chronische Verlierer fühlen. Mit dem Trick der Gleichsetzung von Saddam Hussein und Hitler wurde der Golfkrieg zur moralischen Notwendigkeit erklärt und mit dem Stempel eines »gerechten« Krieges versehen. Dabei wird der Begriff »Menschenfeind« gern inflationär benutzt. So erklärte schon Johannes R. Becher – als er Kulturminister der DDR war – George Orwell zum Menschenfeind, über dessen Tod nur Freude herrschen könne.
    Die andere »Denkschule« glaubt so wenig an unvermeidliche anthropologische Menschheitskatastrophen wie an eindeutig »gute« und eindeutig »böse« Menschen oder an Völker mit immer gleichen psychischen Massenreaktionen, gleichen Rollen- und Wertvorstellungen. In ihr herrscht die Überzeugung vor, dass jedes Volk seine eigene Geschichte, Wirtschaft, Sozialisation, Religion und Psychologie hat, die es in vielen Bereichen von anderen Völkern unterscheiden und die sich darüber hinaus in dauernder Veränderung befinden.
    Mir als Psychoanalytikerin scheint das Argument eines unbesiegbaren Todestriebes gefährlich und wenig zutreffend zu sein. Der »Menschenfeind« und seine ressentiment-geladenen Anhänger werden als unbelehrbar böse Täter definiert, aber gleichzeitig zu »Opfern« ihres Todestriebs gemacht, die – quasi als Menschenfeinde geboren – ihrem Schicksal mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind. Ein solcher anthropologischer Fatalismus fördert die Neigung, komplexe Vorgänge zu vereinfachen, den Krieg als einzige Lösung anzusehen und erneut einem Freund-Feind-Denken zu verfallen.
    Manche Deutsche scheinen sich heute bewusster als früher gegen regressive Denkmuster dieser Art, in denen weder Freund noch Feind realitätsgerecht wahrgenommen werden können, zu wehren. Sie wissen, dass Feindbilder allein dem Zweck dienen, von eigenen Aggressionen und Konflikten abzulenken und eigene Probleme zu kaschieren. Die Befreiung von solchen Denkmustern ist die psychische Voraussetzung dafür, dass Krieg und Gewalt verhindert werden können.
    Der Kampf der deutschen Friedensbewegung gegen den zweiten Golfkrieg als vorgeblich einziger Alternative zur Lösung eines Konflikts von internationalem Rang wurde im In- und Ausland oft missverstanden. Die Deutschen wurden als schlechte Verbündete, als feige oder als antisemitisch beschimpft. Ich erlebte diesen Konflikt ganz anders: Es war doch etwas Neues hierzulande, dass viele Deutsche ihre Angst offen äußerten, dass aus den harten deutschen Männern, den disziplinierten Soldaten, die die halbe Welt mit Krieg und Schrecken überzogen hatten, jetzt »Feiglinge« geworden waren, die sich vor der Gefahr der Zerstörung fürchteten, den eigenen wie den fremden Tod scheuten, sich ihrem »Todestrieb« widersetzten.
    Wenn Deutschland heute nicht mehr das Land der harten disziplinierten soldatischen Männer ist und Deutsche sich dazu bekennen, weder töten noch getötet werden zu wollen, Angst vor dem Krieg zu haben, und sich für den Frieden und die Vernunft einsetzen, sollte das doch eigentlich von allen Menschen in der Welt mit Erleichterung und nicht mit Kritik oder Diffamierung aufgenommen werden. Nur wer keine Phantasie hat, wer seine Erinnerungen verdrängt, kennt auch

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