Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
junge Generation – hüben wie drüben –, das sind Enkel derjenigen, von denen viele an den Naziverbrechen beteiligt waren und die Naziideologie bejahten. Unmittelbare Schuld trifft die Enkel nicht mehr. Es sollte deswegen um einiges leichter für diese Generation sein, sich mit der Vergangenheit zu konfrontieren, Trauer um einmal hoch geschätzte, verlorene nationale Ideale, Trauer um deren Opfer zu empfinden.
Jedoch ist Misstrauen angebracht. Denn der Wunsch nach einer Trauerstätte für die Naziführer ist doch mehr als befremdlich. Auch das Bedürfnis, alte »Idole« zu beleben, ist weit verbreitet. Man erinnere sich der anachronistischen Feierlichkeiten 1991 aus Anlass der Überführung der sterblichen Überreste Friedrichs des Großen und seines Vaters nach Potsdam, der Zunahme jugendlicher Neonazis und ihrer schweigenden Anhänger, die die Gewalt den »Fremden« gegenüber unterstützen. Faktisch hat das Gros der Deutschen bis vor kurzem nicht um Hitler, nicht um sich und seine »Ideale« noch um die Opfer dieser Ideale getrauert. So konnten die meisten Deutschen auch keinen Abschied von ihrer eigenen Vergangenheit nehmen, sondern passten sich den neuen Werten an und gingen neue Identifikationen mit den Mächtigen der Welt ein. Diese Feststellung ist gewiss nicht nur verächtlich gemeint, denn die Orientierung am Westen wirkte sich in vielen Bereichen durchaus wohltuend aus.
Psychologisch betrachtet, blieben aber die alten Ideale unbearbeitet, und die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern dieser »Ideale« konnte sich in den Seelen vieler Menschen erhalten. Im Osten ist diese seelische Verfassung gegenwärtig noch weniger zu übersehen als im Westen, wo man sich besser zu bedecken lernte. Sie zeigt sich nicht nur im Unwesen, das die Neonazis und ihre Anhänger treiben, auch der Bau eines Supermarktes auf dem KZ-Gelände Ravensbrück spricht dafür oder die Wünsche einer CDU-Politikerin aus dem Osten, die anlässlich der Feierlichkeiten zur Überführung der beiden Preußenkönige 1991 in Potsdam dem Westen eine neue Identifikation mit dem Militärstaat Preußen wünschte. Die Deutschen sollten sich endlich wieder an ihre »positiven Leistungen« erinnern und sich nicht länger als Opfer eines »Weltsünder-Syndroms« fühlen. Zahllose weitere Beispiele ließen sich anführen.
Dennoch lässt sich auch anderes beobachten. Gerade an den Reaktionen vieler Deutscher auf den Golfkrieg konnte man – um es zu wiederholen – wahrnehmen: manche Deutsche haben sich verändert. Soll damit gesagt sein, dass sie fähig wurden zu trauern? Und ist die Nachkriegsgeneration, für die Hitler und die Naziideale nur durch Vermittlung ihrer Eltern eine Bedeutung haben, überhaupt in der Lage, eine historische Schuld, mit der sie nur noch mittelbar zu tun hat, zu betrauern? Kann Schuld überhaupt betrauert werden? Gehört sie nicht vielmehr in den Bereich der Reue und Wiedergutmachung? Wie hängt beides miteinander zusammen?
Um diesem Komplex näherzukommen, wiederhole ich die Frage, was denn nun eigentlich Trauern und Trauerarbeit seien. Trauern bedeutet, wie wir wissen, schmerzlichen Abschied von dem zu nehmen, was wir liebten und verloren haben, z.B. unsere »Unschuld« oder unsere Menschlichkeit. Trauern meint aber auch Erinnerungsarbeit, und nicht nur das. Im Laufe des Trauerns verlegen wir das Liebesobjekt, das uns äußerlich verloren ging, nach innen, um uns zumindest partiell mit ihm zu identifizieren. Das gilt vor allem für den Einzelnen. Für das Kollektiv gelten andere Regeln. Hier handelt es sich meistens um den Verlust von Projektionsfiguren wie Hitler oder von kollektiven Selbstüberhöhungen wie das »Vaterland«, d.h. um Verluste, die das kollektive Ich-Ideal, die kollektiven Wünsche und Aggressionen verkörperten, also Teil des gemeinsamen Ich, des »Wir«, das wir selbst waren, und nicht um den Verlust eines Menschen, mit dem man in der Realität engstens verbunden war und der dennoch ein Du und nicht nur ein Ich darstellte. Je mehr sich der Verlust auf die nationale kollektive »Würde« von uns Deutschen beschränkte, desto mehr blieb diese Trauer ein Kreisen um uns selbst, das uns unfähig macht, uns in andere, aber auch in uns selbst einzufühlen und uns von Lebenslügen zu befreien. Das heißt auch, wir bleiben Gefangene unserer selbst und können weder um die, die wir verloren haben, noch um die ungezählten Opfer trauern. Bei Trauern bezogen auf die Nazizeit kann es sich daher nicht nur um ein
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