Eine Liebesehe
verschiedener war von dem Hause, in dem er tatsächlich geboren war und als Kind gelebt hatte. Er vermochte sich dieses Gefühl der Heimkehr zu einem ihm fremden Orte nicht zu erklären.
Und dann sah er durch die offene Türe Ruth über den Pfad kommen, der vom Obstgarten zur Küche führte. In der einen Hand hatte sie einen Pflanzenstecher, in der anderen einen Korb. Sie kam geradewegs auf ihn zu; den braunen Kopf hielt sie in der hellen Sonne ein wenig gesenkt, ihr Gesicht war ernst. Sie war magerer, das sah er, aber lieblicher denn je. Er stand auf und wartete, und sein ganzes Herz eilte ihr entgegen. Als ob sie eine warme Gewalt spürte, hob sie den Kopf, und da sah sie ihn. Sie ließ Pflanzenstecher und Korb fallen und ging schnurstracks auf ihn zu, ohne zu zögern oder zu schwanken. Sie sagten kein Wort. Beider Augen hielten einander fest, er zog sie zu sich, bis sie dicht vor ihm stand, und dann streckte er die Arme aus, und sie schmiegte sich hinein; er neigte das Haupt und legte die Wange auf ihr Haar.
So standen sie. Er wußte, daß er dies nicht beabsichtigt, daß er es sich aber gewünscht hatte. Und sie wußte nur, daß es so sein mußte.
Und dann, nach diesem langen und nahen Augenblick, legte er die Hand unter ihr Kinn, hob ihr Antlitz und küßte sie. So entdeckte er ohne ein Wort seine Liebe und erklärte sich ihr.
Frau Harnsbarger, die in ihren weichen grauen Filzpantoffeln durch den schmalen Gang kam, blieb an der Küchentür stehen. Sie hatte vergessen, Kartoffeln einzuweichen. Was sie sah, das nahm ihr alle Gedanken. Da war Ruth, und William hielt sie in den Armen.
»Soso«, sagte sie betont.
Sie fuhren auseinander, nur ihre Hände ließen nicht los. William begann zu stottern.
»Ich … ich glaube gern, daß Sie erstaunt sind, Frau Harnsbarger.«
»Erstaunt ist gar kein Ausdruck«, erwiderte sie langsam. »Ich bin ganz verblüfft.« Für sie konnte es da nur eine einzige Deutung geben.
»Ich habe es ohne Ruth nicht ausgehalten«, sagte William.
Er blickte Ruth an. Er lächelte, aber sie verhielt sich ernst und schweigend.
Frau Harnsbarger setzte sich. »Nun, junger Mann«, bemerkte sie. Sie schien unfähig, mehr zu sprechen.
Noch immer sagte Ruth nichts. Sie klammerte sich an seine Hand und schaute ihn mit ihrem großen, klaren Blick an. Ihr Schweigen zwang ihn zum Reden. Er bemühte sich, das mit so viel Würde wie möglich zu tun, doch kam er sich dabei irgendwie töricht vor.
»Natürlich wollte ich bei Ihnen um Ruths Hand anhalten, Frau Harnsbarger – und auch bei Ruths Vater. Aber das ist ganz plötzlich gekommen.«
»Ich weiß nicht, was er sagen wird«, antwortete Frau Harnsbarger.
In William stieg Ärger auf. »Hoffentlich hat er nichts gegen mich einzuwenden«, sagte er.
Es wäre belustigend, dachte er hochmütig, wenn dieser Bauer und seine dumme Frau etwas gegen ihn einzuwenden hätten!
»Wir haben damit gerechnet, daß Ruth einen Mann heiratet, der auf dem Hof helfen würde«, erklärte Frau Harnsbarger zweiflerisch. »Jemand wie Henry Fasthauser, Ruth«, wandte sie sich an ihre Tochter.
»Ich möchte William heiraten, Mutter«, erwiderte sie.
William nahm sie in die Arme. »Oh, das ist recht!« rief er. »Wir halten zusammen.«
Lächerlicherweise war er ihr dankbar. Er fand es lieb von ihr, daß sie ihn wählte, wenn sein Nebenbuhler auch nur ein Mann war, der Henry Fasthauser hieß. Es nahm ihn wunder, wer der Mann sein mochte und ob Ruth ihn ernstlich in Betracht gezogen hatte. Er hielt ihre Hand fest in der seinen, eine starke Hand, die in seinem Griff nicht klein war.
»Na ja, für Vater wird das nicht so leicht sein«, sagte Frau Harnsbarger. Und nach einem langen Schweigen erhob sie sich seufzend. »Ich glaube, ich kann meine Hefe trotzdem machen.«
Sie nahm ihre Arbeit in Angriff, und Ruth und William gingen miteinander zur Türe. William blieb stehen, und sie drehte ihm den Kopf zu.
»Legen Sie trotzdem ein Wort für mich ein, Frau Harnsbarger«, bat er mit seinem reizendsten Lächeln.
»Ruth wird wohl ihren Kopf durchsetzen«, gab sie zurück, ohne von ihren Kartoffeln abzulassen. »Das ist ihr stets gelungen.«
William lachte, aber Frau Harnsbarger blieb ernst. Sie war schon dabei, mit geschürzten Lippen Kartoffeln zu schälen.
»Komm, William«, sagte Ruth entschlossen.
Sie führte ihn in den Garten, und scheu schritten sie zusammen zwischen Gemüsebeeten am Hühnerhof vorbei zum Obstgarten. Nachdem nun alles erklärt war, fühlten sie sich
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