Eine magische Begegnung
den Dreadlocks hob wie ein Zombie langsam eine Hand und zeigte auf Hiram. “Gott wird dich bestrafen.”
“Schnauze, Miststück”, knurrte Hiram.
Lady Dreadlock stand mit einer eleganten, ja, fast graziösen Bewegung auf, die man ihr aufgrund ihrer schmutzigen Kleider und der wettergegerbten Haut nicht zugetraut hätte.
“Hiram”, sagte Tanner, um die Aufmerksamkeit des Alten auf sich zu lenken, “willst du uns alle vier erschießen? Das wird dir kaum gelingen.”
Wenigstens war Hiram nun von Lili abgelenkt.
“Ich habe Gresswell verständigt.” Tanner deutete in die Richtung, wo Lilis und sein Haus sich befanden. “Die Polizei wird bald hier sein. Du kannst nicht mehr leugnen, was du getan hast. Warum gibst du nicht auf, bevor alles noch schlimmer wird?”
“Lass mich ihn umlegen”, sagte Buddy. Dann fluchte er.
Tanner sah ihn scharf an. Lili biss sich auf die Unterlippe. Ihre Augen waren dunkel vor Angst.
“Hiram, gib mir das Gewehr.” Tanner streckte eine Hand aus. “Roscoe wäre ziemlich enttäuscht von dir, wenn du mich umbringst. Ich glaube nicht, dass er dir das je verzeihen würde.”
Für einen kurzen Moment blitzte etwas Dunkles, Gefährliches und abgrundtief Böses in Hiram Battles Augen auf. Sein Gesicht hatte einen angespannten Ausdruck. Tanner war sich plötzlich sicher, dass einer von ihnen sterben würde.
“Scheiße.” Hiram spuckte aus. “Heute ist nicht mein Tag, verdammt.” Dann warf er das Gewehr auf den Boden.
Tanner spürte, wie sich der lähmende Druck löste, der auf ihm gelastet hatte. Die Welle der Erleichterung war so mächtig, dass ihm beinahe die Knie versagten. Er sah zu Lili und hatte das Bedürfnis, sie an sich zu reißen, in seine Arme zu nehmen, sie anzufassen, um sich zu überzeugen, dass jeder Körperteil an ihr noch heil und jede Faser an ihr unversehrt war. Und wenn das erledigt war, würde er sie kräftig dafür schütteln, dass sie sich überhaupt in diese Situation gebracht hatte.
Lili begann erst zu zittern, als sie wieder zu Hause waren und Tanner ihr geholfen hatte, die Kratzer an ihren Armen zu reinigen. Jetzt allerdings hörte das Zittern gar nicht mehr auf. Sheriff Gresswell war kurz nach Tanner auf der Wiese eingetroffen. Er hatte Hiram keine Handschellen angelegt, sondern ihn mit Respekt behandelt. Einer von Gresswells Hilfssheriffs hatte noch vor Ort Buddys Aussage aufgenommen, und ein zweiter hatte sie nach Hause begleitet – in ihr Zuhause, nicht in Tanners Haus – und dort ihre Aussagen protokolliert. Lady Dreadlock – Lili musste langsam wirklich damit anfangen, sie Patsy zu nennen – war mit dem Sheriff und seinen Leuten mitgegangen. Lili war sich darüber im Klaren, dass sie morgen und in den nächsten Tagen noch mehr Fragen würde beantworten müssen. Und dass die Leute sie wie ein Zirkuspferd anstarren würden.
Genau so wie Tanner sie nun, da sie allein waren, anstarrte. In den fast drei Stunden, die vergangen waren, seit Hiram Battle seine Waffe fallen gelassen hatte, waren Tanners Augen immer dunkler geworden. Und kälter. Sein Blick war distanziert.
Er hatte sie nicht umarmt, sie nicht einmal berührt, nachdem er ihre kleinen Kratzer versorgt hatte. Und sie zu verarzten war nicht das Gleiche, wie sie zu trösten. Sie hatte Trost dringend nötig, aber er hatte sie in drei Stunden kein einziges Mal wirklich berührt. Das überwältigende Gefühl der Erleichterung, das sie empfunden hatte, als sie ihn durch das hohe Gras hatte kommen sehen, schien ewig lange zurückzuliegen.
Wenigstens zeigte ihr Einstein nicht die Narrenkappe. Stattdessen war die Katze die ganze Zeit, während sie mit dem Hilfssheriff am Küchentisch gesessen hatten, nicht von ihrem Schoß gewichen und hatte laut geschnurrt.
“Ich nehme an, ich kann heute hier bei mir übernachten.” Lili vergrub ihre Finger in Einsteins Fell. “Da wir jetzt ja wissen, dass Mr. Battle der Täter ist.”
Tanner sagte nichts. Kein Wort. Er bedachte sie lediglich mit diesem gewissen Blick. Dem Inbegriff der Missbilligung.
Lass dich nicht von ihm einschüchtern. Er hatte genauso viel Angst wie du.
Lili sah Einstein in ihre treuen grünen Augen. “Tanner hat nie Angst”, flüsterte sie.
Tanner hat vor vielen Dingen Angst. Besonders aber vor dir.
“Woher willst du das wissen?”
“Hör auf, mit der Katze zu reden. Rede mit mir.”
Lili sah ihn an. “Ich habe doch mit dir geredet. Du hast keine Antwort gegeben.”
Er trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch
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