Eine magische Begegnung
brauchte dringend eine Mutter. Sie brauchte einen Menschen, dem sie ihre Mädchensorgen anvertrauen konnte. Jemanden, der ihr sagte, dass sie liebenswert, klug und
kein
Klugscheißer war. Wahrscheinlich hatte die Kleine Tanner nie erzählt, was die Kinder in der Schule zu ihr sagten. Schlimmer noch, er hatte es vielleicht als Kinderei abgetan und nicht gemerkt, wie es seiner Tochter damit ging. Eine Frau hätte es allerdings sehr wohl verstanden. Gespräche von Frau zu Frau waren wichtig. Lili liebte ihren Vater, aber in der Pubertät war es ihre Mutter gewesen, mit der sie über ihre Probleme geredet hatte.
Ein Jaulen und ein hoher, lauter Schrei unterbrachen sämtliche Gespräche im Wohnzimmer. Staubmäuse wurden aufgewirbelt. Einstein schoss wie ein Silberpfeil über den Teppich und zur Tür hinaus. Hiram Battle sprang auf, sein Klappstuhl kippte um, und Fluffy – ein roter Blitz, der Einsteins Verfolgung aufgenommen hatte – krachte gegen Hirams Beine. Der Kater fiel um und blieb wie betäubt liegen. Als er seine gelben Augen wieder öffnete, zitterte er heftig.
“Er hat sich den Kopf an Hirams Schienbein zertrümmert”, sagte Chester.
“Eher hat das verfluchte Tier
mir
das Schienbein zertrümmert.” Hiram bückte sich und rieb sich die Beine.
Niemand rügte ihn wegen seines Fluchs.
Fluffy sprang so schnell und geschickt auf die Beine – Pfoten –, wie es nur eine Katze zuwege brachte, stieß dann einen Schrei aus, der das Fensterglas zum Zittern brachte, und zischte durch die Tür auf den Flur und die Treppe hinauf. Mit seinem Fell, das ihm zu Berge stand, sah er aus wie ein wild gewordenes Stachelschwein.
Linwood starrte ihm nach. “Der Kater hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.”
Hiram rieb sich demonstrativ wieder sein Schienbein. “Das Tier ist ja gemeingefährlich. Was ist los mit ihm?”
Lili wusste es nicht. Fluffy ging es immer noch schlecht. Und das Versprechen, das sie Tanner gegeben hatte, zerriss ihr beinahe das Herz.
6. KAPITEL
L ili saß mit einer Dose Cherry Coke auf der Hollywoodschaukel vor ihrem Haus und stieß sich mit den Zehen immer wieder an dem Holzboden der Terrasse ab, um sich in Schwung zu halten. Nebenan war das Kartenspiel noch in vollem Gange, und die Fenster im Erdgeschoss waren hell erleuchtet.
Lili erwog die Möglichkeiten, die sich aufgetan hatten. Rita beispielsweise wäre ideal für Chester Pawson. Er hätte mit ihr einen Filmstar ganz für sich allein und würde die Katze so anbeten wie seinerzeit Deanna Durbin. Außer wenn Rita jaulte. Und zu Linwood Daniels würde Cy – die Kurzform für Cyclops – perfekt passen. Cy und Linwood hatten viele Gemeinsamkeiten. Die arme Katze war ein Veteran aus dem Kojotenkrieg. Sie hatte im Kampf ein Auge und ein halbes Ohr verloren, und ihr Schwanz stand in einem etwas merkwürdigen Winkel seitlich ab – aber sie war zäh. Und für Hiram? Serenity? Besser nicht. Die beiden würden sich wahrscheinlich gegenseitig umbringen. Lili würde sich diesbezüglich etwas anderes einfallen lassen müssen.
Dass sie nun hier draußen vor sich hin schaukelte, lag nur zu einem gewissen Teil daran, dass sie über ein gutes Plätzchen für die Katzen nachdachte. Auch Erika und ihre Sehnsucht nach einer weiblichen Bezugsperson waren ihr nicht aus dem Sinn gegangen. Und außerdem wollte Lili Tanner abfangen, wenn er nach Hause kam. Erstens wollte sie ihm sagen, dass sie bei Erika gewesen war, bevor er es von jemand anderem erfuhr. Zweitens hatte Einsteins Anwesenheit Fluffy nur in Rage gebracht. Und drittens musste diese Leiche gefunden werden. Daran führte einfach kein Weg mehr vorbei. Lili konnte nicht zulassen, dass Tanner weiterhin nichts unternahm.
Man musste ihm einen Schubs in die richtige Richtung verpassen.
Vielleicht hatte Tanner seiner aktuellen Bekannten Erika nur deshalb nicht vorgestellt, weil es nicht mehr als eine Bettgeschichte für ihn war. Nur Sex. Dafür, dass er möglicherweise
nur Sex
mit ihr hätte, war er allerdings schon ziemlich lange weg. Außer er war ein sehr ausdauernder Liebhaber.
O Gott, sie wollte sich Tanner in überhaupt keiner Form beim Sex vorstellen. Es war eine Sache, ihm Blumen für sein Date mitzugeben, aber eine ganz andere, sich irgendwelche Schlafzimmerszenen auszumalen. Zumindest wenn sie selbst keine Rolle darin spielte.
Du bist verknallt.
Ein roter Luftballon, dem sich eine Nadel gefährlich näherte.
Einstein saß regungslos zwischen den Reifen von Lilis Fahrrad, das sie an das
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