Eine magische Begegnung
sie.
“Kein Zufall. Ich habe die Katze gesehen.”
Einstein blinzelte kurz und verzog sich zwischen die Hauswand und den Vorderreifen von Lilis Fahrrad. Dann guckte sie zwischen den Speichen hervor wie aus einem Käfig. Vielleicht dienten die Speichen ihr aber auch als Schutz vor dem bevorstehenden Donnerwetter. Die Katze war vorhin – mit gesträubtem Nackenfell – aus dem Fahrradkorb gesprungen, noch bevor Tanner aus seinem Auto gestiegen war.
Tanner war unmittelbar nach seinem Gespräch mit Roscoe zu Lili gegangen. Die Tür war verschlossen gewesen, und als er gemerkt hatte, dass ihr Fahrrad nicht auf der Veranda vor dem Haus stand, war eine maßlose Wut in ihm hochgestiegen. Er hatte sich erstens darüber geärgert, wie Lili nur so dumm sein konnte, aus dem Haus zu gehen, wo doch ein Mörder hier frei herumlief. Und dieser Mörder wusste wegen Roscoes idiotischer Geschwätzigkeit zweifelsohne bereits, dass Lili ihn – wenn auch nur durch die Augen eines Katers – gesehen hatte. Und wenn er es noch nicht wusste, würde er es auf jeden Fall bald wissen. Gut, Lili hatte keine Ahnung, was Roscoe getan hatte, aber sie wusste sehr wohl, dass ein Verbrecher hier frei herumlief. Zweitens ärgerte er sich, dass er selbst sich über etwas in Wahrheit absolut Lächerliches aufregte – denn was würde es jemanden, der halbwegs bei Sinnen war, interessieren, was Fluffy gesehen hatte? Warum also regte er sich so auf, verdammt? Drittens war er wütend, weil er nicht aufhören konnte, an Lili zu denken, und weil er bereute, was er gestern Abend zu ihr gesagt hatte. Und weil er bereute, nicht mit ihr geschlafen zu haben, als er die Gelegenheit dazu hatte.
Seine Wut war allerdings mittlerweile, nachdem er eine halbe Stunde durch die Gegend gefahren war und sie gesucht hatte, wieder halbwegs verflogen.
Lili spielte mit dem Ende ihres Haarzopfes. Es löste etwas ganz Merkwürdiges in ihm aus, wie sie sich damit ständig über die Wange fuhr, hin und her, hin und her. Tanner starrte wie hypnotisiert auf das Zopfende.
“Ich glaube, du solltest es erfahren”, sagte sie.
Tanner unterbrach sie. “Ich weiß es schon.”
“Woher?”
“Von Roscoe. Und weil ich ein bisschen kombiniert habe.”
“Aber ist das, was du weißt, das Gleiche, was ich glaube, das du weißt?”
Trotz der angespannten Stimmung lachte Tanner plötzlich laut auf.
Sie starrte ihn mit ihren unschuldigen blauen Augen an. “Das war nicht witzig gemeint.”
“Ich weiß. Lass uns ein bisschen gehen.” Im Moment standen sie für alle Gäste des “Coffee Stain” gut sichtbar direkt vor dem großen Fenster des Lokals, als wären sie Kandidaten in der neuesten Realityshow.
Sie gingen ein paar Schritte, bis Lili vor dem “Mane Man”-Friseurladen neben dem Café wieder stehen blieb. “Das ist weit genug.”
Einstein kroch langsam vom Vorderreifen zum Hinterreifen, um die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Die Katze mochte Tanner tatsächlich nicht. Oder sie hatte Lili einfach schrecklich lieb. Oder beides.
“Also, sag mir, was du glaubst, das ich weiß”, sagte Tanner immer noch schmunzelnd.
Sie legte ihren Kopf schief, als wüsste sie seine Bemühungen, sie zu verstehen, zu schätzen. “Im 'Stain' wissen alle Bescheid über Fluffy und mich.”
“Du hast recht, das wusste ich tatsächlich schon.”
“Aber weißt du, dass es die Polizei auch schon weiß? Manny behauptet es zumindest.”
Tanner beherrschte sich. Er wollte wirklich nicht wütend werden, aber wie zum Teufel hatten die Neuigkeiten sich so schnell herumsprechen können? Oh, natürlich, Chester und Linwood an einem Sonntagmorgen im “Coffee Stain” … das reichte als Erklärung völlig aus.
Lili sah ihn erstaunt an. “Du wirst gar nicht wütend.”
“Ich beginne ein neues Leben.”
Lili strahlte ihn an. Ihre Augen leuchteten tatsächlich wie zwei 100-Watt-Glühbirnen. “Das ist ja wunderbar.”
Alles, was gestern Abend geschehen war, schien vergessen. Lili verhielt sich ihm gegenüber so, als wäre sie weder zuerst mit ihm im siebten Himmel noch danach in ihren Gefühlen zutiefst verletzt gewesen. Letzteres war gut, Ersteres geradezu ein Skandal. Er wollte keinesfalls, dass sie sich daran erinnerte, was er zu ihr gesagt hatte, doch er wollte verflucht noch mal, dass sie wenigstens irgendein Gefühl wegen dieser anderen Sache hatte, die sie gemacht hatten.
“Also, es geht um Folgendes …”
Sie war unverbesserlich, unverdrossen und unbezähmbar. Und
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