Eine Marcelli geht aufs Ganze
Unglücklicherweise waren unsere Eltern über die Neuigkeiten wenig erfreut.«
Francesca konnte nicht einmal ahnen, wie es für die beiden gewesen sein musste. Zwei Teenager, denen nichts als Missbilligung entgegenschlug. Die beiden hatten bestimmt ziemliche Angst gehabt.
»Wir haben sie fortgeschickt«, sagte Grammy M leise. Tränen sammelten sich in ihren blauen Augen. »Gott möge uns dafür vergeben.«
Grandma Tessa nickte. Sie zog ihren Rosenkranz aus der Kitteltasche und küsste ihn.
Colleen seufzte. »Ich wurde zu einer Schule für ledige Mütter geschickt, bevor ich mit eurem Vater durchbrennen konnte. Niemand wusste, wo ich war. Sie dachten ...« Sie räusperte sich. »Wir alle dachten ...«
Grammy M schaute ihre Tochter an. »Du wirst nicht die Schuld für etwas auf dich nehmen, zu dem andere dich gezwungen haben.« Sie wandte sich an ihre Enkelinnen. »Mein Connor, Gott hab ihn selig, Tessa, Lorenzo und ich haben entschieden, es wäre das Beste, wenn sie den Kleinen zur Adoption freigibt. Colleen und Marco waren doch selber noch Kinder. Aber sie waren dickköpfig und haben sich gegen uns aufgelehnt. Doch am Ende haben wir gewonnen.«
Sie klang darüber nicht sehr glücklich.
Francesca schaute ihre Mutter an. »Du hattest einen Sohn?«, fragte sie.
»Ja. Ich habe ihn nie gesehen. Sie sagten, so wäre es leichter für mich.« Sie schluckte. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt noch schwerer hätte sein können. Sie haben ihn mir weggenommen, und ich bin nach Hause gekommen.« Sie richtete die Aufmerksamkeit auf ihren Ehemann. »Marco hat auf mich gewartet. Unsere Eltern bestanden darauf, dass wir uns nicht mehr sehen, aber wir haben nicht auf sie gehört. Als ich achtzehn wurde, haben wir geheiratet.«
Marco ging zu seiner Frau und nahm ihre Hand. »Das ist alles«, sagte er leise. »Nun wisst ihr Mädchen, was geschehen ist.«
Francesca fragte sich, wer Mia davon berichten würde, beschloss dann aber, sich später Gedanken darüber zu machen. Sie spürte, wie Brenna tief durchatmete.
»Also lebt er irgendwo da draußen, ohne zu wissen, wer er ist oder was hier auf ihn wartet?«
Francesca drehte sich zu ihrer Schwester um. Brennas Miene war starr und ausdruckslos. Der Schmerz, den ihre Zwillingsschwester verspürte, traf Francesca wie ein Fausthieb in den Magen. Sie wollte sagen, dass ein männlicher Erbe doch jetzt wohl keine Bedeutung mehr haben konnte, dass Grandpa Lorenzo das Weingut niemals einem Fremden übergeben würde, auch wenn er ein Blutsverwandter war, doch sie wusste, dass das nicht stimmte. All das war nur zu gut möglich.
»Gott hat uns bestraft«, sagte Grandma Tessa. »Wir hätten nicht darauf bestehen sollen, dass sie das Baby weggibt.«
»Mach dich nicht lächerlich«, fuhr Grandpa Lorenzo sie an. »Gott bestraft uns nicht.« Aber er klang nicht so sicher, wie er vorgab zu sein.
Francesca fiel es schwer, all das zu verarbeiten, was sie gehört hatte. Wie konnten Ereignisse, die dreißig Jahre her waren, heute noch Einfluss auf ihrer aller Leben haben? Und doch war innerhalb von Minuten durch die wenigen Informationen, die sie erhalten hatten, alles anders geworden.
»Hat schon einmal jemand Kontakt mit ihm aufgenommen?«, erkundigte sie sich.
»Wir haben nicht geglaubt, dass das nötig sein würde«, antwortete Grandpa Lorenzo.
Fassungslos schaute Francesca ihn an. »Nötig? Er gehört zur Familie. Irgendwo da draußen hast du einen Enkel. Wir haben einen Bruder. Meine Eltern haben einen Sohn. Ist dir das völlig egal?«
»Wir waren uns nicht sicher«, sagte Colleen leise. »Wir wollten sein Leben nicht durcheinanderbringen. Wir hatten ja keine Ahnung, ob er überhaupt daran interessiert war, von uns zu hören.«
Wir wussten nicht, ob er uns vergeben würde.
Ihre Mutter sprach die Worte zwar nicht aus, aber das musste sie auch nicht. Alle verstanden sie auch so.
Katie klammerte sich an Zachs Hand. »Warum habt ihr uns nie davon erzählt?«
Ihr Vater zuckte mit den Schultern. »Es war nie der richtige Zeitpunkt.«
Katie wollte protestieren, besann sich jedoch eines Besseren. Francesca überlegte, ob sie an die Geheimnisse dachte, die jede von ihnen vor ihrer Familie verborgen hielt. Katie hatte welche, die eine gelöste Verlobung betrafen. Francesca hatte nie die Wahrheit über ihre Ehe mit Todd gesagt. Und Brenna ... Francesca musterte ihre Zwillingsschwester. Welche Geheimnisse hütete Brenna?
»Wir brauchen etwas Zeit,
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