Eine Messe für all die Toten
sich
herausstellte, daß die Abflußrohre im Erdgeschoß erneuert werden mußten, war
ich genötigt, die Arbeiten für ein paar Wochen einstellen zu lassen, weil ich
die nächste Monatsrate nicht aufbringen konnte. Mitte des Sommers wußte ich
nicht mehr aus noch ein. Und da ging ich zu Pfarrer Lawson.
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Aussage von Ruth Rawlinson (Fortsetzung)
Als ich zum erstenmal in St. Frideswide’s war,
ging ich noch zur Schule. Unser Chor wirkte bei der Kreuzigung von
Stainer mit. Einige von uns halfen auch später ab und zu aus, wenn der
Kirchenchor zu wenig Sopran- und Altstimmen für die Palestrina-Messen hatte.
Ich lernte nach und nach die Leute dort näher kennen und fühlte mich bald ganz
zu Hause. Es dauerte nicht lange, bis ich reguläres Chormitglied wurde- nicht,
weil ich eine besondere Neigung zur Hochkirche gehabt hätte, sondern weil mir
das Umfeld und der neue Bekanntenkreis gefielen. Eine alte Frau kam jede Woche
in die Kirche, um Ordnung zu schaffen und sauberzumachen. Sie war von einer
schweren Arthritis so gebeugt, daß sie schon mit dem Herumschleppen von
Schrubber und Eimer Zeugnis für ihre Glaubenskraft und ihre Willensstärke
ablegte. Im Lauf der Zeit lernte ich sie recht gut kennen und stellte ihr auch
die eine oder andere persönliche Frage. Sie erklärte schlicht und ganz
glücklich, daß sie hoffte, Gott würde sie eines Tages belohnen, aber auch wenn
er sie nicht für würdig befinden sollte, würde sie ihm für die Segnungen, die
sie von ihm empfangen habe, Lob und Dank sagen. Ich hörte mir das nicht etwa
staunend oder zynisch, sondern sehr bewegt an, und als sie gestorben war, nahm
ich mir vor, ihr gutes Werk wenigstens teilweise weiterzuführen. Und so fing
ich an zu scheuern und zu putzen und fand ein wenig von jener Erfüllung, die
jene alte Frau erfahren hatte. Durch diese freiwillige Buße kam ich natürlich
häufig mit Lionel Lawson zusammen, und so lag es nahe, daß ich mich an ihn
wandte, als ich in unserer finanziellen Krise Rat und Hilfe brauchte. Er bereitete
mir die größte Überraschung meines Lebens. Geld, meinte er, sei nun wirklich
kein Grund zur Sorge. Er fragte mich, was ich brauchte, setzte sich an den
Schreibtisch (wo mir ein Papiermesser in Form eines Kruzifixes auffiel) und
schrieb einen Scheck über 500 Pfund aus. Es war wie ein Wunder, und als ich ihm
sagte, ich sei ihm unendlich dankbar, wüßte aber nicht, wann ich ihm das Geld
zurückzahlen könnte, sagte er nur, vielleicht sei er eines Tages ja auch mal in
Schwierigkeiten, und dann wäre es schön zu wissen, daß er mit meiner Hilfe
rechnen könne. Natürlich versprach ich ihm, daß ich alles in meiner Macht
Stehende für ihn tun würde. Ich erinnere mich noch, wie sehr ich mir damals
wünschte, mich eines Tages mit einem wirklich großen Gefallen zu revanchieren.
Als ich an jenem Tag das Pfarrhaus verließ, begegnete ich unten w einem Mann,
der gerade aus der Küche kam. Zunächst erkannte ich ihn nicht. Er war ziemlich
ärmlich gekleidet, aber frisch rasiert, und das Haar war ordentlich
geschnitten. Ich wußte, daß Lionel manchmal auf ein paar Tage Leute aus dem
Obdachlosenasyl zu sich nahm, und dann und wann überredete er sie dazu, zum
Gottesdienst zu kommen. Dann fiel mir ein, wer er war. Er war etwa ebenso alt
und ebenso groß wie Lionel, aber bei unserer letzten Begegnung hatte er einen
Stoppelbart und langes, schmutziges Haar gehabt. Erst später erfuhr ich, daß es
Lionels Bruder Philip war.
Wenig später begann die Sache mit Harry Josephs.
Gegen Ende des Sommers entstanden ziemliche Spannungen zwischen Mitgliedern der
Gemeinde. Ein häßliches Gerücht kam mir zu Ohren. Es hieß, Lionel habe mehr für
Chorknaben übrig, als gut für ihn sei. Das konnte ich einfach nicht glauben.
Auch jetzt noch bin ich fest davon überzeugt, daß Lionel, falls er tatsächlich
homosexuelle Neigungen hatte, sie nicht praktizierte. Aber noch etwas anderes
wurde gemunkelt, daß nämlich Paul Morris, unser Organist, sich in Harry Josephs’
Frau Brenda verliebt hätte, die Harry immer zur Kirche brachte. Harry selbst
besaß aus irgendeinem Grund keinen Führerschein mehr. Man sah Brenda oft im
Gespräch mit Paul, allerdings blieb sie selten zu den Gottesdiensten, und eine
Frau aus unserer Gemeinde sagte, sie habe die beiden beim Händchenhalten
erwischt. Ich hatte zwar keine Beweise, muß aber zugeben, daß ich nach und nach
zu der Überzeugung kam, an diesem Gerücht müsse schon etwas sein. Und dann
erfuhr
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