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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Arras ein. Bei der Begrüßung vor den Toren sagte ich – neben anderem – zu ihm, daß es nicht viel Mächtige auf dieser Erde gebe, die einen ähnlichen Mut aufbrächten. Wenn die Pest ausbricht, fliehen für gewöhnlich die Ehrwürdigen, soweit der Himmel blau ist, und lassen ihr gesamtes Vermögen dem gemeinen Volk zum Raub. In solchen Momenten zeigt sich am deutlichsten, wie wenig irdisches Gut angesichts einer tödlichen, von Gott gesandten Bedrohung wert ist. David bewies also eine seltene Herzensstärke, wenn er in das von der Pest heimgesuchte Arras kam. Er ritt mit prächtigem Gefolge in die Stadt ein. Vor ihm her trug man einen Reliquienschrein mit einem Tropfen Blut des heiligen Ägidius, den die Bischöfe von Utrecht einst von den Grafen von Saint Gilles zum Geschenk erhalten hatten.
    Doch dieser Einzug, der die Herzen aller Bürger der Stadt gestärkt hatte, kehrte sich rasch gegen den Fürsten. David begann ein strenges Regiment zu führen. Ich behaupte durchaus nicht, daß er die Absicht gehabt habe, die Stadt Arras ins Verderben zu stürzen, aber viele glaubten eben gerade das. Bei Todesstrafe befahl er, jegliche Nahrungsmittel zu verbrennen, die die Hände von Pestkranken berührt hatten. Als man ihm darlegte, daß das doch Wahnsinn sei – denn was hatte das für einen Zweck, die Stadt ihrer bescheidenen Vorräte zu entblößen –, erklärte er, daß er seinen Hofärzten mehr vertraue. Schon damals umgab ihn ständig diese Meute von Schmarotzern und Wichtigtuern, die ihm quer und längs durch Brabant folgten und seinen großen Geist mit Schwindeleien vergifteten. Doch was weit schlimmer war – beim Verlassen unserer Stadt, nach den Tagen seines strengen Regimentes, befahl er auch noch, die Stadttore zu schließen, und ließ Wachen entlang der Mauern aufziehen.
    »Du überantwortest uns dem sicheren Untergang!« riefen die Mitglieder des Rates.
    »Betet«, antwortete der Bischof.
    Um die Wahrheit zu sagen, er ließ uns nicht im Elend. Tag für Tag näherten sich üppig beladene Wagen den Toren von Arras. Jeden Morgen hörte man die Räder knirschen und die Fuhrleute schreien. Das Volk versammelte sich auf den Mauern, während die Sendboten des Bischofs die Wagen entluden. Gleich darauf fuhren sie wieder ab, Peitsche knallend und Gebete flüsternd, und die Bischofswache erlaubte uns, die Tore zu öffnen, um den Proviant in die Stadt hereinzuholen. Man teilte ihn gerecht auf, wobei sich Herr de Saxe, ein Mann von großer Rechtschaffenheit und unerschütterlichem Charakter, einen nicht geringen Verdienst erwarb. Doch was hatte das schon zu besagen, wenn der Pesttod noch immer reiche Ernte hielt und sich der Hunger allen immer nackter zu erkennen gab! Es folgten Tage voller Verzweiflung. Bei der Kunde von unserem Unglück strömten von allen Seiten die Plünderer, bewaffnete Banden, gewissenlose Subjekte, in Richtung Arras. Auf den waldigen Höhen ringsum legten sie sich in den Hinterhalt, um in den Nächten den bischöflichen Fuhrwerken aufzulauern und sie auszurauben. David vergrößerte den Geleitschutz, aber auch das ohne Resultat. Die leichte Beute entflammte die Phantasie aller Strolche aus dem ganzen Herzogtum. Unverhohlen fluteten sie aus den entlegensten Winkeln heran, um vor den Mauern der untergehenden Stadt ihr Schäfchen ins trockene zu bringen. Es kam vor, daß sich drei Tage lang direkt vor unseren Augen – denn wir schauten auf dies alles von den Mauerzinnen herab – die Raubzüge abspielten. David zahlte den Fuhrleuten mit Gold und kostbaren Steinen, aber es gab wenig Wagemutige, die bereit waren, in den Tod zu gehen. Bei uns nahm inzwischen der Hunger gewaltige Ausmaße an. Man mußte auf dem Friedhof Wachen aufstellen, denn es fanden sich solche, die alle Scham und alles Christentum fallenließen und sich über die frischen Gräber hermachten und mitten im Leichengestank Festmahl hielten. Uns erreichten Gerüchte, daß eine Frau ihr neugeborenes Kind erstickt, es in Salzwasser gekocht und aufgegessen, den zurückgebliebenen Absud aber ihren übrigen Kindern gegeben habe. Vor den Rat gebracht, bekannte sie sich zu ihrer Tat.
    Das war der Tag, da die Stimmung gegen David ihren Höhepunkt erreichte. Die Bürger verwünschten seinen Entscheid. »David hat uns lebendig begraben«, ertönte das Geschrei rings um das Rathaus. Die Leute verlangten eine strenge Bestrafung jener entarteten Mutter, waren jedoch der Meinung, daß die Sünde auf das Haupt des Bischofs falle. Ich teilte

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