Eine Messe für die Stadt Arras
weiter als ein Freund und Kumpan seiner Ausschweifungen; allen ernsteren Gesprächen ging er stets geflissentlich aus dem Wege. Doch Albert irrte sich nicht, wenn er annahm, daß Gent meinem Herzen näher war als Arras, was mir übrigens auch ein bißchen schmeichelte.
Ich fühlte mich also auch diesmal wieder eingeschüchtert, als ich zu Albert ging. Allein schon die Tatsache, daß sich die Bürger der Stadt an mich um Vermittlung am Bischofshof gewandt hatten, war fatal. Und ich wunderte mich durchaus nicht, daß Albert, nachdem er meine Argumente angehört hatte, bitter sagte:
»Wenn man dich zu David geschickt hat, warum kommst du dann zu mir?«
»Vater«, sagte ich mit der sanftesten Stimme, die mir zu Gebote stand, »es ist nicht angebracht, in die hiesigen Streitigkeiten den bischöflichen Hof mit hineinzuziehen. Die Bürger der Stadt sind empört wegen der Vorfälle, die sich innerhalb der eigenen Mauern abgespielt haben, also müssen auch innerhalb der Stadt die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden.«
Er sah mich prüfend von der Seite an, dann zuckte er unwillig und gelangweilt die Achseln, so als wolle er eine Last loswerden.
»Na ja, das klingt gescheit, ich muß es zugeben; aber in deinem Munde, Jean, sind solche Worte Heuchelei! Sollte dich der Tod dieses Juden zu einer Solidarität mit der Stadt geneigt machen, die du bislang nie empfunden hast? Unerforschlich ist Gottes Ratschluß. Plötzlich, in einem so bedrohlichen Augenblick, da sich die Möglichkeit zu einer Intervention Davids bietet und sich die Bürger unserer Stadt, die sonst eifrig darüber gewacht haben, daß niemand ihre Privilegien antastet, freiwillig um die Entscheidung des Hofes bemühen, wirst du zum Beschützer der städtischen Freiheiten und scheust davor zurück, Fremde in die Angelegenheiten unserer Stadt mit einzubeziehen? Da es endlich zum Streit zwischen mir und den Bürgern gekommen ist und sich eine so prächtige Gelegenheit bietet, mich dem Gespött preiszugeben, mich zu verhöhnen und in den Augen der Menschen, die ich immer geliebt habe, zu erniedrigen – erweist ausgerechnet du mir Verständnis, Jean? Gib acht, daß dich David nicht zur Rechenschaft zieht für diese deine Herzensschwachheit!«
Albert verstummte und näherte sich mir. Mit einem Ausdruck wachsamen Argwohns und einem Anflug von Verwunderung sah er mir in die Augen.
»Aber vielleicht weißt du gar…?« fragte er unvermittelt und faßte mich bei der Hand. »Sag ehrlich, Jean, begreifst du, worum es hier geht?«
Gott erbarm, ich hatte damals nicht die geringste Ahnung, worauf er hinauswollte! Offenbar hatte er das auch aus meinem Blick gelesen, denn er lachte höhnisch auf.
»Na ja, wie sollte dir auch so etwas in den Sinn kommen!«
Niemals hat er mich wohl so verachtet wie in dem Moment, da er gewahr wurde, daß er mich überschätzt hatte. Und mit einem Male wurde er gebieterisch, unzugänglich, bar selbst des Spottes, der bei seiner eiskalten Natur manchmal wie ein Fünkchen innerlicher Wärme wirkte.
»Denk daran, daß du vor Jahren als ein Grünschnabel nach Arras gekommen bist! Dieser Stadt verdankst du dein Wohlergehen. Sie machte dich zu einem reichen und gebildeten Mann, brachte dir Vertrauen entgegen und bedachte dich mit einem Teil Macht…«
»Vater«, unterbrach ich ihn, »alles was du der Stadt Arras zuschreibst, ist dein eigenes Verdienst!«
»Wie kommst du bloß darauf?« rief er aus. »Du weißt genau, daß keine Grenze existiert, die mich von der Stadt und die Stadt von mir trennen könnte. Ich bin sie und sie ist ich! Wenn ich etwas für dich getan habe, bist du allen Bürgern der Stadt Dank schuldig; denn sie sind es, die durch mich hier die Herrschaft ausüben. Soviel Jahre wiederhole ich dir unablässig: Wer gegen mich kämpft, tritt gegen die Stadt auf, und wer die hiesigen Gesetze und Privilegien anzutasten trachtet, ist mein Feind. Es wäre einfach lächerlich, wollten sich gerade in der Stunde der Prüfung die Wege der hiesigen Bürger scheiden. Nur Verzweiflung und geistige Verwirrung konnten bewirken, daß sie sich mit der Bitte, David herbeizurufen, an dich wandten. Ich hab diesen Boden hier zwanzig Jahre lang bearbeitet und ich habe ihn umgepflügt. Der Bischof wird hier nicht geliebt! Er hat nichts dazu getan, um sich diese Liebe zu verdienen. Jedesmal, wenn er hierherkam, hätte man meinen können, eine Schar Räuber habe die Stadt heimgesucht. Wir leben in Arras ehrbar, ohne den Luxus und ohne die
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