Eine Messe für die Stadt Arras
damals die Ansicht, was ich ohne Scheu bekenne… Wir hielten Rat über die Frau.
»Bürde ihr Leiden auf!« verlangten die Bürger von Albert.
Albert schwieg lange. Dann sagte er: »Ich werde ihr keine Leiden auferlegen. Mag Gott ihre Tat richten.«
Man beschloß also, die Frau am darauffolgenden Tag köpfen zu lassen, auch wenn die Stadt gefordert hatte, daß man sie der Folter unterziehe.
Auf dem Marktplatz war eine riesige Menschenmenge versammelt. In dieser hungrigen Schar war allein die Verurteilte satt. Der Meister bestieg, das Schwert in der Hand, das Gerüst. Knechte schleppten die Frau herbei. Sie betete demütig und mit ihrem Schicksal ausgesöhnt. Wir warteten auf die der gespenstischen Situation angemessene Zeremonie. Doch Albert blieb stumm. Er hatte den Kopf hoch aufgereckt und starrte unverwandt in den Himmel. Ein bißchen sonderbar war das schon. Die Zeit verstrich. Ungeduldig blickte der Henker zu Albert. Das Volk begann zu murren, Erregung bemächtigte sich aller Gemüter.
»Na, worauf wartest du, Vater?« rief plötzlich jemand aus der Menge. »Erteile ihr schon die Absolution!«
Albert schwieg und schaute unablässig zum Himmel empor, als erwarte er von dort ein Zeichen. Ich trete zu ihm und sage leise: »Es ist Zeit anzufangen, Vater.«
»Sollen sie anfangen«, brummte Albert.
Ich sehe, wie ihm ein Augenlid zuckt, ein Zeichen, daß er sich ärgert.
»Wie das?« sage ich. »Du mußt ihr doch für ihren letzten Weg die Absolution erteilen.«
»Nein«, antwortet Albert. »Gib dem Meister Bescheid, er soll ihr den Kopf abschlagen!«
»Vater!« rufe ich. »Das werde ich nicht tun! Ohne Sterbesakramente darf man kein Urteil vollstrecken.«
»Ich habe diesem Weib Gnade erwiesen«, sagte Albert. »Man wollte sie mit Feuer brennen, in Teer wälzen… Die Grausamen! Ich habe vor Gericht in aller Deutlichkeit gesagt, daß es ohne Leiden abgehen und Gott über das Los dieser Unglücklichen entscheiden soll. Befiehl dem Meister, seine Schuldigkeit zu tun!«
Wir hatten leise gesprochen, aber die Umstehenden hatten verstanden, worum es ging. Ein Sturmwind des Grauens wehte durch die Menge. Rufe ertönten, dann folgte lautes Schluchzen. Das Volk fiel um das Schafott herum auf die Knie; alle beteten und riefen Albert an, er solle doch dieser Unglückseligen christliche Barmherzigkeit bezeigen. Die Frau selber verstand erst viel später, was da vor sich ging.
»Vater!« kreischte sie in höchster Verzweiflung. »Erbarmen! Sollen sie mich lebendig verbrennen, mit Pferden zerreißen, aber versagt mir nicht diesen letzten Trost… Ich habe gefehlt, das ist wahr! Aber räche dich nicht so grausam…»
Farias de Saxe stürzte zu Albert und packte ihn am Arm.
»Fordere Gott nicht heraus, Alter!« schrie er zornig. »Gib dieser Unglücklichen die Sterbesakramente, wenn dir dein Leben lieb ist…« – Albert blickte auf de Saxe wie auf einen Wurm, der sich zu seinen Füßen krümmt.
»Belehrt mich nicht in Fragen der Tugend und der Sünde, Graf; Ihr seid nicht würdig, mein Lehrer zu sein. Und versucht nicht, mich mit dem Tode zu schrecken; denn den fürchte ich nicht. Noch ein Wort und ich lasse dich von den Knechten ergreifen und am nächsten trockenen Ast aufhängen.«
Farias de Saxe biß sich auf die Lippen und bemerkte ruhig:
»Vater Albert, du maßt dir das Recht an, Gott zu vertreten. Ohne Absolution muß diese Arme auf Ewigkeit in die Hölle.«
»Muß?« sagte Albert und lächelte ironisch. »Und warum muß sie? Denkst du, ich hab mit Gott einen Vertrag geschlossen, daß er es nicht wagt, meine Beschlüsse zu ändern? Für wen hältst du Gott, de Saxe? Er ist kein Genter Krämer, du Narr! Von seinem Willen hängt es ab, ob die Seele dieser Frau in die Hölle hinabstürzt oder ob sie an seiner Seite, zwischen den Engeln, einen Platz findet. Und du armseliger Wurm denkst, daß zwischen Gott und mir ein Kontrakt besteht, daß man sich mit ihm in einen Handel einlassen kann?«
»Vater!« flüsterte de Saxe. »Versage dieser Frau nicht…«
»Du winselst, Schwachkopf! Ihr seid alle gleich… Diese ganze Herde da, einer wie der andere. Was denn, ihr glaubt, sie wird, wenn ich ihr die Sterbesakramente verweigere, zu ewiger Verdammnis verurteilt?«
»Vater«, sage ich ruhig – obwohl Wut und Angst mir schier die Luft abdrücken, spürte ich doch, daß ich da mit düsteren, unerforschlichen Dingen in Berührung kam –, »das Priesteramt gibt dir die Macht, in Gottes Namen zu handeln. Gott hat dir
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