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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Ruchlosigkeit, die Utrecht und Gent zugrunde richten. Denn was ist mit Brabant geschehen? Allgemeine Heuchelei, Intrigen, Hader, Nichtswürdigkeit. David hält sich Schergen, die auf einen Wink hin mit den Gegnern des Hofes abrechnen. Wer hätte je Häscher in Arras gesehen? Muß man vielleicht in unserer Stadt zu Gift und Stilett greifen, um unter dem Deckmantel der Nacht seine Gegner zu ermorden? Wir hier haben eine Einigkeit erreicht, die von Gott und den Menschen offenbar gesegnet ist.«
    »Herr«, sagte ich, »der Jude Celus hat sich im Rathaus erhängt!«
    »Ich weiß… Der arme Jud! Anscheinend war es der Wille Gottes, ihn zum Opfer zu machen. Denk dran, Jean, daß nichts geschehen ist, was unsere Stadt belasten könnte. Der Rat hatte noch kein Urteil gesprochen. Celus hat sich vielmehr aus freien Stücken des Lebens beraubt. Merkst du denn gar nicht, wie feurig und edel sich die Gefühle der hiesigen Bürger regen, die betrübt sind und Schmerz empfinden über den Tod dieses Unglücklichen? Stell dir dergleichen in Gent oder Utrecht vor! Absurd! Wen kümmert dort eine einzige jüdische Leiche? Während hier die Menschen nach Entsühnung verlangen. Und sie werden ihre Entsühnung bekommen! Ich möchte, daß du endlich begreifst, wie unwürdig und dumm das Vorhaben ist, sich auf Davids Vernunft zu verlassen. Du bist der Stadt Arras nicht nur Dankbarkeit schuldig, sondern auch Verbundenheit in schweren Zeiten.«
    »Das eben waren meine Gedanken«, entgegnete ich ruhig. »Und darum bin ich zu dir gekommen, Vater, obwohl die Bürger meine Reise nach Gent gefordert haben.«
    Hier lachte Albert erneut bitter auf und sprach:
    »Jean! Ich kenne dich seit vielen Jahren! Und immer habe ich auf deine Loyalität gebaut. Geh zu den Leuten und sag ihnen, daß es unwürdig wäre, am bischöflichen Hof Unterstützung zu suchen. Wir selber sind die Herren von Arras, und allein in unseren Händen liegt das Los unserer Stadt.«
    »Wäre es nicht angemessener, wenn du sie selber davon in Kenntnis setztest?«
    »Nein, teurer Schüler! Niemals habe ich vor den Bürgern meine Gefühle verheimlicht, die ich für David hege. Darum auch könnte man meinen Entscheid meinem Widerwillen und Mißtrauen gegen ihn zuschreiben. Sind sie nicht zu dir mit der Bitte um Vermittlung gekommen? Wer könnte ein besserer Gesandter von Arras an den Hof in Utrecht sein? Es ist eine gute, vernünftige Sache, wenn du ihnen erklärst, warum du die dir übertragene Mission ausschlägst.«
    »Du hast recht, Vater«, erwiderte ich.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Meine Herren! Nur teilweise fühle ich mich schuldig an dem, was Gott über die Stadt Arras gebracht hat. Ich war sein Werkzeug und habe seiner Gerechtigkeit vertraut. Erlaubt jedoch, daß ich jetzt die jüngste Vergangenheit zum Zeugnis aufrufe – jene schrecklichen Tage vor drei Jahren, da Hunger und Pest unsere Stadt heimsuchten. Ich meine, daß man eben dort die Ursachen zu finden trachten muß, derentwegen ich Alberts Argumente als recht und billig anerkannte.
    Mit dem Frühling jenes Jahres begann das Vieh zu verrecken. Anfangs lag darin nichts Außergewöhnliches. Stets geschieht es, daß nach einem strengen Winter ein gewisser Prozentsatz des Viehs abmagert, die Freßlust einbüßt und ohne erkennbaren Grund verendet. Jedoch in dem besagten Frühling gab, wie ihr euch erinnern werdet, auch so mancher Hirt seinen Geist auf. Wir zogen in Prozessionen zur Stadt hinaus. Die Glocken wurden geläutet. Es folgten kühle Regentage, und dann hellte sich ganz plötzlich der Himmel auf, die Sonne stach, und innerhalb der Mauern von Arras wimmelte es auf einmal von zahllosem Ungeziefer. Aus den ursprünglich sumpfigen Wiesen, die ganz unerwartet austrockneten, kroch das Geschmeiß in die Stadt. Niemals zuvor war dergleichen geschehen. Nebelschwaden hüllten die Stadt ein, morgens und abends konnte man keine Handweit sehen. Bei Tag brannte heftig die Sonne, und in den Nächten herrschte klirrende Kälte. Menschen begannen zu sterben. Erst einer, dann zwei und dann; zehn. Ihre Leiber zersetzten sich überaus rasch; sie waren schwärzlich und aufgedunsen. Gestank verschlug denen den Atem, die den Toten den letzten Dienst erwiesen. Etwa gleichzeitig brachen Feuersbrünste aus. Sie verzehrten eine Menge menschlicher Habe, vor allem aber die Lebensmittelvorräte, die man während der Erntezeit zusammengetragen hatte. Zu jener Zeit traf Fürst David in der Stadt

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