Eine Messe für die Stadt Arras
Trunk, damit ich mir die alten Ängste aus der Kehle spülen kann…
»Ihr Herren! Wenn mich wer fragen würde, ob ich den Teufel gesehen habe, ich müßte nein sagen. Aber sollte mich jemand fragen, ob ich ihn gehört und seine Berührung gefühlt habe, so sage ich ja, denn noch jetzt schmerzt mich mein Hinterteil.
Ach, das soll durchaus nicht heißen, ich wolle behaupten, daß alles, was vergangenen Herbst in Arras geschah, das Werk unreiner Kräfte gewesen sei. Aber der Teufel hat sich dort unablässig herumgetrieben, hat gehetzt, die Feuer der verlöschenden Scheiterhaufen wiederentfacht, unsere Sinne getrübt und ins Verderben gestürzt. Freilich: auch ohne ihn wären wir genauso tief gesunken, doch vielleicht nicht so rasch…
Ich kehre zum eigentlichen Thema zurück. Noch in derselben Nacht forderte der Rat von Albert die Verhaftung Farias de Saxe’.
Albert sperrte sich lange. »Er ist der edelstgeborene Herr in ganz Arras!« wiederholte er ein ums andere Mal.
Doch der Rat wollte von seiner Forderung nicht ablassen. Der Tuchmacher Yvonnet wies nach, daß der Graf im Jahr der Pest Übeltaten und Grausamkeiten verübt hatte. Offensichtlich war er im geheimen Einverständnis mit den Juden gewesen, da er sie so reichlich fütterte, während alle anderen nicht wußten, womit das Maul stopfen.
Daraufhin Albert:
»Laßt die Juden in Ruhe! Sie haben beglichen, was sie zu zahlen hatten. Wenn unser Übel und unser Unglück nur im jüdischen Samen seinen Anfang genommen hätte, wäre Arras hundertmal glücklicher. Leider! Sucht also die Sünden in euren eigenen Herzen. Die Juden laßt in Frieden!«
Es ließ sich unschwer beweisen, daß de Saxe zu den hartgesottenen Sündern gehörte. Wer anders, wenn nicht er, hatte jahrelang über die Lehren des ehrwürdigen Vaters gespottet? Es kam heraus, daß er aus Worms einen Medikus hatte kommen lassen, und in den Nächten schnitten sie beide im Licht eines Kienspans Tierkadaver auf. Farias de Saxe fing Eidechsen in den Talschluchten, die sich auf Lilie zu erstreckten, häutete sie und erforschte ihr Inneres. Auch an Vögel hatte er sich schon herangewagt, und man erzählte sich – nicht ohne Grund –, daß er einmal, während der Seuche, als er das Fleisch eines verendeten Pferdes aufteilte, für sich das Herz zurückbehielt. Aber er aß es nicht etwa, sondern untersuchte, wog, zerschnitt und bestaunte es. Allen war bekannt, daß Farias de Saxe sich in Arras erbarmungslos langweilte und sich in seinen eigenen Gemächern Messen lesen ließ, nachts, weil er tagsüber auf Falkenjagd ging. Er beichtete überaus nachlässig; es kam vor, daß er dabei einschlummerte und das Mönchlein ihn erst mit Püffen zur Reue über seine Sünden bewegen mußte. Und wenn er Christus empfing, schüttelte er sich am ganzen Leibe und gähnte gedehnt… Mit Sicherheit wurde festgestellt, daß er sich käufliche Frauen hielt und jede Nacht eine andere rief wie ein arabischer Kalif. Das Allerwichtigste aber war, daß er dem Rat nicht den gebührenden Respekt erwies, daß er sich wie ein großer Herr benahm und die Unterweisungen des ehrwürdigen Vaters für nichts erachtete. Das kam am stärksten in der letzten Zeit zum Ausdruck, seit die einfachen Leute im Rat saßen und er sie postponierte und nicht mit ihnen zu Rate gehen wollte.
Ich meine, edle Herren, Graf de Saxe hatte sicher recht, aber es gehörte sich einfach nicht, dem Pöbel so offen seine Gedanken zu entdecken.
Schließlich gab Albert nach. Er nickte mit dem Kopf und sagte leise:
»Sofern dieses der Wille des Rates ist, schließe ich mich demütig seinem Vorschlag an. Wir halten Gericht über Graf de Saxe, was uns vielleicht die himmlische Gnade sichert. Denn noch einmal sage ich euch, meine lieben Mitbürger, wer soviel durchlebt hat, kann nicht mehr rein sein. Absolution ist nur den Unerfahrenen und Unwissenden gegeben. Die Zeit des Hungers und der Seuche hat unsere Seelen befleckt. Die Stadt Arras muß wohl erst in den Flammen des Leidens aufgehen, um wieder zu sich selber zu kommen. Jeder Schritt hat uns vom wahren Weg entfernt. Und um so mehr sind wir im Schmutz gewatet. Wir brauchen heute einen kindlichen Glauben, um von neuem auf den Pfaden der Tugend zu wandeln. Bevor die Seuche über die Stadt kam, bemühte man sich mehr um schöne Gewebe und Serge, um Reitpferde und Gärten, Dukaten und Fäßchen mit Wein als um das Heil der Seele. Die Pest öffnete uns die Augen dafür, was wirklich wichtig für den Menschen ist. Doch
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