Eine Messe für die Stadt Arras
als sie vorüber war, hielt aufs neue der Frevel Einzug in die Mauern von Arras. Wieder wird mit Flachs und Leinwand, mit Pferden und Kühen gehandelt, und nach Calais ziehen die Wagen voller Waren. Die Stadt wird von dem Verlangen nach schönverzierten Gefäßen und delikaten Speisen, nach behenden Pferden und guten Milchkühen verzehrt. Über nichts anderes als über Falken, über Schuhe und Hüte spricht man hier, und nur ein winziges Häuflein der Ernsthaftesten wagt es, nach Gott zu rufen. Die Menschen hier sind in ihrer Gier, sich zu bereichern, tief gesunken, und selbst die Würdigsten haben sich auf Schuftigkeiten eingelassen. Es gab in Arras einen, der mit Wegelagerern unter einer Decke steckte. Auf seinen Befehl lauerten sie inmitten der Hügel am Wege nach Lilie und plünderten unsere Wagenzüge. Das waren dieselben Kerle, die während der Pest bis vor unsere Mauern drangen, um unsere Vorräte zu rauben.«
»Ehrwürdiger Vater!« rief hierauf der Bäcker Mehoune. »Wer war dieser Mensch, der die Strolche gedungen hat?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Albert.
Da begann der Rat laut zu fluchen, daß man ihm kein Vertrauen erweise, und wieder fielen die Leute auf die Knie, und ihre lauten Gebete hallten vom Deckengewölbe wider. Und so entrang sich Albert schließlich – und es war, als brächte er es nur mühsam hervor –, daß es Graf de Saxe gewesen sei.
»Die Hölle!« kreischte der Tuchmacher, und die anderen akkompagnierten ihn.
»Ja«, entgegnete Albert, »ja, die Hölle ist in uns allen.«
Damals dachte ich (doch nur so für mich), daß zwar tatsächlich die Hölle in uns steckt, daß aber hundertmal schlimmer ist, was von uns nach außen wirkt.
Meine Herren! Es ist euch bekannt, daß man den Grafen de Saxe vergangenen Herbst auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat. Aber nicht bekannt ist euch, wie sehr er vor seinem Tode gelästert und was sich daraus für unsere Stadt ergeben hat. Als man den Grafen in den Kellergewölben des Rathauses gefangengesetzt hatte, erschien sein Vogt namens Durance vor dem Rat, der Mann, den ich vorhin bereits erwähnt habe, und erklärte, seinen Herrn verteidigen zu wollen.
»Denn er ist nicht schuldig der ihm zur Last gelegten Vergehen!«
Dieser Durance war schon immer ein merkwürdiger Mensch gewesen. Bisweilen führte er sich wie der allerschlimmste Halunke auf. Noch vor Ausbruch der Pest war Durance in Geschäften auf eine sehr weite Reise gegangen, die ihn bis ins Rhonetal geführt hatte. Von der Reise zurückgekehrt, berichtete er, wie er den Leuten dort das Fell über die Ohren gezogen habe. Er war in einem Maße treuebrüchig gewesen, daß die Klagen wegen seiner Missetaten bis nach Brüssel zu Herzog Philipp drangen. Damals konnte er sich noch einmal aus der Schlinge ziehen, weil er den Beistand des Grafen de Saxe genoß, der sich wiederum der Gunst des Herzogs erfreute. Ein anderes Mal erscholl sein Ruf in ganz Artois, weil er einem Kartäuserkloster hundert Dukaten geschenkt hatte. Überhaupt war dies ein freigebiger Mensch, auch wenn er auf den ersten Blick nicht danach aussah. Man wollte wissen, daß er englischen Mönchen in Bedford Gaben gestiftet und sie selber mit einem Mietkahn hinübergebracht habe. Er kümmerte sich um Witwen und Waisen, dann wieder brachte er einen Schuldner an den Bettelstab. Er besaß die Gabe der schönen Rede und gleichfalls eine schöne Gestalt. Hinzu kam ein ungeheures Vermögen; er überragte an Wohlhabenheit möglicherweise sogar Farias de Saxe. Und dennoch diente er ihm weiterhin, und nicht selten geschah es, daß er dessen Pferden eigenhändig den Hafer hinstreute – obgleich er das bei den eigenen niemals tat, hatte er doch einen Stallmeister und ein paar Pferdeknechte in seinen Diensten. Manchmal lebte er wie ein vorbildlicher Christ, fastete und betete, um sich dann wieder Prassereien hinzugeben, von denen die ganze Stadt sprach. In seinem Hause hielt er sich einen Pfaffen und zwei Kebsen, und man erzählte sich, daß er einmal des Nachts den Pfaffen zu sich genommen und es morgens den Kebsen gebeichtet habe. Niemand wußte, was in diesem Menschen wirklich steckte. Es gab solche, die ihn ein wenig fürchteten.
Als er vor dem Rat erschien, wirkte er wie aus Stein gehauen. Er sprach mit ungeheurem Stolz. Wußte er doch, daß ihm, sofern er den Grafen de Saxe verteidigte, vorläufig alles erlaubt war – daher genoß er es in vollen Zügen.
»Was wollt ihr von dem edlen Herrn de Saxe? Aus wessen Hand habt ihr
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