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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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passiert ist, kaum unterscheiden von dem, was ich mehr oder weniger bewusst hinzugefügt habe, wenn ich das Geschehen mir selbst oder anderen erzählt habe. Wenn ich darüber nachdenke – was ich möglichst vermeide -, überkommt mich ein Gefühl der Unwirklichkeit, dann merke ich, dass ich kein verlässliches Kriterium
habe, um das, was passiert ist, von dem, was ich mir ausgedacht oder geträumt habe, zu trennen, und ich habe das Gefühl, über einem Abgrund zu schweben.
    Wie auch immer, das Auto fuhr auf ziemlich reale Weise weiter. Wir legten den Corso Vittorio Emanuele zurück, bogen in den Corso Cavour ein und hielten vor dem Teatro Petruzzelli.
    Das Theater war am 14. Februar 1903 mit der Aufführung von Meyerbeers Ugonotti eingeweiht worden (die Chronik spricht von riesigem Andrang). Eine wichtige Etappe für eine Provinzstadt, die Hauptstadt von etwas werden will und dieses prächtige Theaterhaus als Symbol ihres Aufstiegs betrachtet.
    Die Parabel dieses Traums endete am 26. Oktober 1991, als im Petruzzelli die Norma von Bellini aufgeführt wurde. Nach einem Drehbuch, wie es in seiner Banalität nur das wahre Leben selbst schreiben kann, ging dem Brand des Theaters die Aufführung einer Oper voraus, die mit einem Scheiterhaufen endet.
    Ein paar Stunden nach Ende der Vorstellung und dem Scheiterhaufen aus Pappmaché der Norma wurden das Theater und die Stadt von einem echten, obszönen, unbezähmbaren Scheiterhaufen verschlungen, den eine Bande von Brandstiftern gelegt hatte, über deren Professionalität viel diskutiert wurde. Es wurde nie geklärt, ob die Kriminellen das Theater wirklich zerstören oder ob sie es nur beschädigen wollten – deshalb ist es auch schwer zu sagen, ob die Ausführenden knallharte Profis waren oder, was wahrscheinlicher ist, nur armselige Stümper. Tatsache ist, dass das Theater vollkommen zerstört wurde, einschließlich
der Kuppel, und dass die Stadt ihre Träume von Grandeur wie hinter einem Vorhang verschwinden sah.
    Ermittlungsbeamte und Anwälte haben jahrelang in den trübsten Regionen der Stadt gefischt, aber sie konnten weder die Identität der Drahtzieher aufdecken noch das Tatmotiv; die Gründe, die hinter dieser aberwitzigen Tat stecken, bleiben bis heute verborgen.
    Die einzigen, die bisher bezahlt haben – zu Recht, damit wir uns nicht missverstehen -, sind die beiden Handlanger.
    Die Wahrheit eines Prozesses entspricht manchmal der historischen Wahrheit der Tatsachen; andere Male, wie hier, nimmt sie den Ton und die Züge einer Farce an.
    Was von den Tausenden von Prozessakten übrig bleibt, ist das dürftige Ammenmärchen, nach der zwei Leute ohne Grund (oder ohne Motiv, wenn man es lieber so ausdrücken will) nachts in ein Theater eindringen, dort Feuer legen und dann fröhlich pfeifend in eine Hafenbar gehen und zwei Bier trinken.

    Giampiero parkte mit den Hinterreifen auf dem Gehsteig, vor dem Zaun, der die Baustelle umgab. Er ließ die Scheibe herunter und sagte, nachdem die Mission seiner Meinung nach beendet war, dass wir jetzt wieder sprechen dürften. Um die Spannung zu mildern, die immer noch deutlich zu spüren war, und den Heimatabend zu beenden, der offensichtlich schon zu lange gedauert hatte und seiner Kontrolle entglitten war.

    »Na gut«, seufzte er, »wir haben ganz schön was riskiert, aber eines muss man uns lassen: Wir haben uns gut aus der Affäre gezogen. Wie damals, in den guten alten Zeiten.«
    Es war ihm gelungen, in einem einzigen Satz gleich zwei Ausdrücke unterzubringen, die ich nicht ausstehen kann: »aus der Affäre ziehen« und »gute alte Zeiten«. Ich hatte genug. Ich wollte nur noch nach Hause und alles vergessen, den Abend, die gespielte Freundschaft und die ganze Vergangenheit, die so traurig in unseren Körpern von Ex-Jugendlichen herumirrte.
    »Meine Herren«, sagte er und wurde mit jedem Wort schneller, so als leiere er etwas Auswendiggelerntes herunter, »dem hast du vielleicht die Fresse poliert, diesem Scheißkerl. Trainierst du eigentlich immer noch? Sind wir nicht zu alt für so was? Mein Gott, ihr zwei seid echt verrückt! Ist euch eigentlich klar, dass wir riskiert haben, uns für alle Zeiten zu ruinieren? Ich sehe schon die Zeitungsmeldungen vor mir, falls sie uns erwischt hätten.«
    Schweigen.
    Giampiero sprach weiter.
    »Jedenfalls ist es ziemlich spät geworden, würde ich sagen. Ich bringe euch jetzt nach Hause und dann verabschieden wir uns bis zum nächsten Mal.«
    Der Ton war auf gezwungene, verzweifelte

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