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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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hast mich immer schon angeekelt, und wenn dieser Abend eine gute Seite hat, dann die, dass ich dir das endlich einmal sagen konnte. Du Arschloch.«

    Die Brutalität dieser Worte überraschte mich, und zugleich erschien sie mir wie der natürliche, unvermeidliche Ausgang unseres Treffens. Etwas, was diesem Abend und vielen anderen unausgesprochenen Dingen, die mir gar nicht bewusst waren, einen Sinn gab.
    »Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt schlafen gehen. Wir haben alle etwas zu viel getrunken«, schlug ich deshalb vor.
    »Du meinst wohl, ich habe etwas zu viel getrunken? Du willst eigentlich sagen, dass ich betrunken bin, oder? Aber Gott sei Dank ist das der Fall. Denn so kann ich dir endlich all die Dinge sagen, die ich dir damals nie gesagt habe und die ich dir nie wieder sagen würde, denn das ist das verflucht letzte Mal« – diese Worte sprach er mit größter Deutlichkeit aus, und mir kamen ein paar Szenen mit Al Pacino in den Sinn -, »dass wir uns in diesem Leben sehen. Denn abgesehen von der Tatsache, dass ich keinerlei Lust habe, dich wiederzusehen, will ich dir eines sagen: Es gibt sie, die Traurigkeit, es gibt Unglück. Die Dinge enden, man wird alt, krank, und irgendwann stirbt man. Oh, und da wäre noch etwas: Auch dir blüht das alles.«
    Ich wollte gerade etwas erwidern, reagieren, als mir ein Gedanke durch den Kopf schoss. Es war ein Gedanke, den ich schon oft unterhalb der Bewusstseinsschwelle wahrgenommen hatte und der in jenem Moment auf einmal ganz klar und deutlich Gestalt annahm. Ich war immer in gewisser Weise überzeugt gewesen, dass ich von allem unbehelligt bleiben würde. Krankheit, Unglück, vielleicht sogar Tod. Der, falls er jemals kommen
sollte, wie eine Reise anderswohin, ganz sanft eintreffen würde, an einem Frühlingsmorgen, ohne unangenehme Vorahnungen, ohne Schmerzen und ohne Demütigungen. Ich war mir dieser irrationalen Überzeugung nie wirklich bewusst gewesen. Bis zu diesem Augenblick, bis Paolo mir diese Worte sagte. Offensichtlich hatte er mich seit langer Zeit beobachtet, studiert und durchschaut. Ich fragte mich, was ich noch alles über mich erfahren würde.
    »Warum reagierst du denn nicht, verdammt noch mal? Und wo wir schon dabei sind, wer hat dich gebeten, dich einzumischen? Dieser Idiot hatte es auf mich abgesehen, und ich habe doch wohl das Recht, mir die Fresse einschlagen zu lassen, ohne dass du dich einmischst. Aber das hast du ja noch nie geschafft, und das hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, wie wir alle wissen.«
    »Das erklärst du mir aber jetzt! Ich weiß schon, dass du dich nicht dafür bedankst, dass ich deine Brille und deine Visage gerettet habe. Dazu hätte es diesen Auftritt nicht gebraucht, und danke ist noch nie dein Lieblingswort gewesen. Aber ich wüsste doch gern, was du mit dem Unsinn über die Nächstenliebe meinst.«
    »Das kann ich dir genau erklären. Wie alle Egozentriker hast du nie wirklich gelebt. Du hast immer nur eine Rolle gespielt. Und da du dir diese Rolle ausgesucht hast, hast du ihr auch alle möglichen guten Eigenschaften angedichtet, einschließlich der Nächstenliebe. Aber das ist alles nur Schau, alles eine verdammte Lüge.«

    Paolo holte tief Luft – er war offensichtlich noch nicht fertig.
    Giampiero folgte dem Ganzen fassungslos. Ich schwankte zwischen Staunen und einer distanzierten, fast schon abstrakten Neugier. Wie – und wie weit – würde es weitergehen?
    »Weißt du, was Daria über dich gesagt hat?«
    In dem Moment, in dem Paolo ihren Namen aussprach, sprang Daria aus den dunklen Gängen meiner Erinnerung hervor. Klar und deutlich, mit ihrem ironischen Blick, ihrer schneidenden Stimme, in der ein Hauch von Bareser Akzent mitschwang, was sogar etwas durchaus Angenehmes hatte. Ich hatte mich oft – allerdings ergebnislos – gefragt, warum ich mich nie in sie verliebt habe, in diese schöne, intelligente, elegante und sympathische Frau, die noch dazu in mich verliebt war.
    Ob sie und Paolo etwas miteinander gehabt hatten, hatte ich mich allerdings nie gefragt. Das war mir nicht einmal in den Sinn gekommen. Doch in dem Moment, in dem er mir diese grausamen, unerwarteten und wahren Worte sagte, bildeten sich in meinem Kopf die Frage und die Antwort. Bilder und Erinnerungen wurden plötzlich scharf, und alles war auf einmal so klar, dass ich mich fragte, wie ich es damals nicht hatte bemerken können.
    »Nein, ich weiß es nicht, sag du es mir. Ich nehme an, du brennst darauf.«
    »Sie sagte, du seiest

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