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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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auf dem anderen lassen werde in diesem Büro, das vor lauter Staub und ausgeblendetem Sonnenlicht eher an einen Maulwurfshügel erinnere. Mit jedem weiteren Vorwurf wurde das Lächeln des Irgun-Vizechefs breiter. Viele Stunden nach Sonias Weggang hing noch der Orangenduft im Raum.

11
    A ls Jakob Markowitz vor Sonia und Seev Feinbergs Haus ankam, war sie schon in Tel Aviv und er auf hoher See. Die salzige Luft tat Seev Feinberg gut. Das Rollen des Schiffes auf den Wellen schenkte ihm Ruhe. Wer vor seinen Gedanken flieht, fühlt sich wohler in ständiger Bewegung. Wann immer die Erinnerung an die Leichen der Mutter und des Kindes an sein Kabinenfenster klopfte, warf er sie flugs über Bord, und das Schiff pflügte weiter durchs Wasser. Wieder und wieder klopfte die Erinnerung an seine Kabine und wieder und wieder packte Seev Feinberg sie und warf sie hinunter ins Meer. Bis die Abstände von einem Anklopfen zum nächsten langsam länger wurden und Seev Feinberg ganze Stunden verbrachte, ohne das Bild der toten Mutter, die den Erdboden, und des toten Babys, das ihren Rücken umarmt, vor sich zu sehen. Er begann, seine Kabine zu verlassen. Zuerst nur für einige Minuten. Er schaute in den Himmel und aufs Wasser und in die Gesichter der Menschen und ging wieder hinein. Bald jedoch sah er, wie schön die Sonne und das Wasser und vor allem die Gesichter der Menschen waren, und blieb einen erheblichen Teil des Tages außerhalb der Kabine.
    Als er merkte, dass er tatsächlich in die menschliche Gesellschaft zurückkehrte, fragte er sich, wann er wohl auch wieder sprechen würde. Es war ja so viel Zeit vergangen. Manchmal, wenn er einen Schiffsjungen einen bereits angefaulten Witz erzählen hörte, tanzte seine Zunge im Mund und wollte die Mauer des Schweigens durchbrechen. Aber er weigerte sich. Fürchtete vergessen zu haben, wie man mit Menschen redete. Bis eines Abends, unter Mithilfe einiger Gläser Schnaps und zweier kichernder Mädchen, Seev Feinbergs Schweigebarrikaden fielen. Auf einen Schlag fielen sie. Einen Moment hörte er noch einen Mann am Nebentisch einen altvertrauten Witz ruinieren, und im nächsten fuhr er schon dazwischen: »So nicht! Du verdirbst ja die ganze Pointe!« Und dann erzählte er den Witz von Neuem, unter dem Gelächter der jungen Mädchen, erzählte ihn so gut, dass selbst der zunächst erboste Mann am Nebentisch schallend mitlachte. Wie beim Radfahren, dachte er sich, der Körper behält alles in Erinnerung. Froh ging er ins Bett, und erst Stunden später träumte er wieder von der Frau und dem Baby.
    Aber je näher sie dem europäischen Festland kamen, desto unbehaglicher wurde Seev Feinberg zumute. Solange das Schiff noch fuhr, und er mit an Deck, fühlte er sich geschützt. Doch sobald sie anlegten und er nicht mehr in Bewegung wäre, würden ihn die über Bord geworfenen Erinnerungen allesamt einholen und ihn mit einem Schlag überfallen. Im Zielhafen angelangt, hastete er vom Schiff und marschierte energisch los. Die Abholer mussten ihm nachrennen. Seev Feinberg war als einziges Kommandomitglied im Krieg nicht in Europa gewesen. Vor dem Anlegen hatten die anderen daher befürchtet, er werde ihnen hinterherhinken. Bei derlei Operationen spielte persönliche Betroffenheit die Hauptrolle. Bald jedoch merkten sie, dass das Gegenteil zutraf. Seev Feinberg rastete keinen Augenblick. In einem Monat hatten sie das halbe Land abgeklappert, hatten Dorf auf Dorf, Stadt auf Stadt durchkämmt, immer auf Trab. Auch wenn die Jagd erfolgreich verlief, auch wenn sie einen berüchtigten Verbrecher zu fassen kriegten, erlaubte Seev Feinberg keinem, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. »Weiter. Es gibt noch mehr davon.« Seine Jagdgefährten priesen seine Entschlossenheit. Kein Mensch ahnte, dass nicht Zielstrebigkeit, sondern Angst den schnauzbärtigen Jäger befeuerte. Seev Feinberg verfolgte, weil er verfolgt war, und deswegen entwischte ihm kaum einer.
    Die seltenen Glücksmomente erlebte er an Tagen, an denen die Verfolgung in Spitzengeschwindigkeit verlief. Wenn er das Gaspedal des Wagens bis zum Anschlag durchtrat, seine Kameraden ihm in die Ohren brüllten, er solle langsamer fahren, dann wusste Seev Feinberg, dass er der Mutter und dem Baby für kurze Zeit entronnen war. Der Wagen raste dahin, und in diesem zeitlichen und örtlichen Zwischenraum zwischen Abfahrts- und Ankunftsort konnte er endlich an Sonia denken. Er fragte sich, ob sie jetzt wohl am Strand stand, seinen Namen mit solch derben

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