Eine naechtliche Begegnung
der quälenden Hilflosigkeit erholen, die er noch vor wenigen Minuten gespürt hatte.
Simon atmete aus. Ordnete seine Gedanken. »Warum haben sie dich mitgenommen?«
Ihr heiseres Lachen überschlug sich. »Weißt du das nicht? Der Löffel. Grimston behauptet, ich hätte ihn gestohlen.«
Er nickte. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. »Geht es dir gut? Hat dich irgendjemand angerührt?«
Sie blinzelte. »Nein. Ich bin in Ordnung.«
Natürlich. Sie war immer in Ordnung. »Geht es dir
gut
?«
»Ja«, sagte sie nach einer Pause. »Wirklich, Simon.« Sie zog ihre Stirn in Falten. »Komm her«, flüsterte sie und widersprach sich, indem sie selbst wieder in seine Arme kroch.
Mit geschlossenen Augen hielt Simon sie fest. Endlich verlangsamte sich sein Puls. »Als ich Katherines Brief las …« Er schluckte. »Nell, ich hätte …« Er spürte, wie ihn ein Schauder durchfuhr. Worte konnten diese Empfindung nicht ausdrücken.
»Ich kann es mir vorstellen«, murmelte sie. Sie drehte den Kopf und presste die Nase an seine Brust. »Er hat mir Geld geboten, um dich zu verlassen«, flüsterte sie.
Seine kurze Überraschung wich Sarkasmus. Natürlich hatte Grimston ihr Geld geboten. Er hatte damals auch mit Maria verhandelt.
Aber anders als Maria hatte Nell sein Schmiergeld abgelehnt.
Er grub das Gesicht in ihr Haar und atmete tief. Nichts auf der Welt hatte sich je so richtig angefühlt, wie diese Frau in den Armen zu halten.
»Was werden wir tun?«, fragte sie.
Wir
. Nie hatte ein Wort süßer geklungen. »Die Beschuldigung ist vollkommen aberwitzig«, sagte er. »Wir werden ihnen Michael liefern.« Und um Grimston würde er sich selbst kümmern.
Sie schüttelte den Kopf. »Michael war in Ramsgate, als der Löffel gestohlen wurde. Und die Crowleys können wir nicht mit hineinziehen.«
Nichts davon interessierte ihn. Er wollte, dass sie schon zu Hause war, im Obergeschoss, so weit weg vom Ausgang wie möglich, alle Türen zwischen ihr und ihren Widersachern verschlossen und verriegelt. Er wollte sie in Sicherheit und gut versteckt. Wunder musste man beschützen. Er würde sie mit seinem Leben beschützen.
»Jetzt nicht«, sagte er. »Wir besprechen das später.«
»Aber …« Sie setzte sich auf und drückte sich von ihm weg. »Ich kann die Crowleys wirklich nicht da hineinziehen. Wir können nichts beweisen.«
»Ich werde das erledigen.«
»Und wenn du das nicht kannst?« Mit aufgerissenen Augen suchte sie seinen Blick.
»Ich kann.« Wenn er irgendetwas konnte, auch wenn er seinen ganzen Verstand und all seine Energie dafür aufbringen müsste, dann das.
Einen weiteren Augenblick sah sie ihn an und öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Seufzend legte sie den Kopf an seine Schulter, genau wo er hingehörte.
17
Diesmal ließ Nell sich nicht davon abhalten, beim Gespräch mit Daughtry zugegen zu sein. Als der Anwalt kam und Simon sie nach oben schicken wollte, blieb sie stur. Sie behielt die Fassung, als Daughtry sagte: »Ehrlich gesagt, sieht es schlecht aus.« Auch als er hinzufügte: »Es wäre unverantwortlich von mir, zu behaupten, dass Sie sich wegen dieser Vorwürfe keine Sorgen machen müssten«, nahm sie die Worte ruhig auf.
Anders als Simon.
Er verlor die Beherrschung, obwohl der Anwalt seine Schmähungen nicht verdiente. Sie lauschte seiner Wut, die sich so sehr von Michaels unterschied. Worte, keine Fäuste, unterlegt mit einer Kälte, die viel gefährlicher war als Michaels Feuer – nur nicht für sie. Plötzlich wurde ihr klar, dass er nie eine Gefahr für sie gewesen war.
Der Anwalt versuchte, sich zu verteidigen. An den unbehaglichen Seitenblicken, die er ihr zuwarf, erkannte sie, dass er nicht aussprach, was er eigentlich sagen wollte. Zweifellos wollte er Simon drängen, die Ehe zu annullieren. »Ich muss Sie an die Möglichkeit erinnern, über die wir in der Vergangenheit gesprochen haben«, sagte er schließlich rot vor Frustration. »Wenn Ihre finanziellen Interessen im Vordergrund stehen, müssen Sie diese … Möglichkeit in Betracht ziehen.«
Simon fluchte. »Auf gar keinen Fall.«
Also doch, dachte sie. Es war also so weit gekommen.
Sie schlüpfte aus dem Zimmer. Simon holte sie auf der Treppe ein. Er ergriff ihren Arm, hielt sie fest und lenkte sie, vielleicht, um den Eindruck zu erwecken, als würde sie sich auf seinen Befehl hin bewegen. Er war schließlich der Earl von Rushden.
Nell wehrte sich nicht. Sie blieb stehen. »Er
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