Eine riskante Affäre (German Edition)
undeinem unbekannten Räucherduft. Als sie einen Schluck nahm, war auch nichts zu schmecken. Er war ein Mann geheimnisvoller Arzneien. »Was, sagten Sie doch gleich, ist dieses pulvrige Zeug?«
»Ich habe nichts dazu gesagt. Es sind Heilkräuter aus dem mysteriösen Morgenland. Man kann garantiert alles andere damit anstellen, nur keine Toten erwecken. Kann Ihnen wohl nicht schaden.« Der Kapitän machte sich daran, seine Schiffsapotheke wieder wegzupacken.
Ha . Dennoch nahm sie einen Schluck. »Ich halte nicht viel von Medizin. Aber der Brandy ist gut. Mein Vater treibt Handel mit Brandy.« Wir schmuggeln ihn .
Der Regen prasselte aufs Oberdeck. Ein guter Klang. So vertraut. Sie hatte Hunderte von Nächten auf See verbracht, den Regen über ihr. Seltsam, wie sie sich in Gegenwart dieses Mannes fühlte, so ruhig, so unerschütterlich. Sicher. Er war es gewohnt, sich um sein Schiff und seine Mannschaft zu kümmern. Deshalb waren seine Hände wie Leder, stark und hart. Das war eine Folge des Umgangs mit Seilen, der Sicherung der Ladung und dem Verstauen dessen, was er behalten wollte. Das Bewusstsein, dass diese Hände sie ausgezogen hatten, jagte Jess eine Gänsehaut über den Rücken. Dabei hatte er ihren Körper berührt, auch wenn er es nicht zugab. Leicht nachvollziehbar, dass er nicht darüber reden wollte.
Sie sah aus dem Fenster, hinter das Spiegelbild der Kajüte. Der Regen schlug hart gegen die Scheibe und lief in Strömen herab. Es wurde immer dunkler. Der Kai war mittlerweile leer, keine Karren oder Pferde waren mehr zu sehen. Die Lampen in den Lagerhäusern warfen lange Lichtstreifen, die sich ölig auf dem Pflaster am Hafenbecken kräuselten. Auf der linken Hälfte der Themse ankerten Dutzende von Schiffen – Schoner, Fregatten, Leichter und Barkassen – , alle an Bug und Heck mit Laternen ausgestattet, die in der Tide hüpften. Ein gezackter Wald aus Masten und Tafelwerk glühte schaurig im Nebel.
Wichtig ist, an welchem Tag die Schiffe auslaufen. Die Abfahrten sind des Rätsels halbe Lösung. Die andere Hälfte … Die andere Hälfte besteht in …
Und dann wusste sie nicht, worin die fehlende Hälfte bestand. Vor einer Minute noch hatte alles einen Sinn ergeben. Jetzt nicht mehr. Vielleicht fühlte man sich so, wenn man verrückt war. »Ich kann nicht denken.«
»Dann haben Sie Glück, dass Sie es nicht müssen.«
»Einer dieser glücklichen Zufälle.« Sie umschlang die Knie, blickte auf die grauen Teilchen auf dem Brandy, und versuchte sich zu entscheiden, ob sie ihn nun trinken sollte oder nicht. Es war alles nur eine Frage des Vertrauens, oder etwa nicht? Der Kapitän hatte da draußen in den Straßen von London seinen Hals für sie riskiert. Im Gegenzug hatte er nichts als Sand und Dreck in seinem Bett von ihr erhalten. Und sie war auf eine Abmachung eingegangen. Vereinbarungen pflegte sie einzuhalten. »Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt. Dafür, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Ich kann mich fast schon erinnern, wie Sie mir geholfen haben.«
»Ich verbringe meine Abende meist damit, in der Hafengegend Frauen aus tieferen Pfützen zu fischen. Woraufhin ich sie als meine mir rechtmäßig zustehende Beute betrachte. Im Glas nützt es nichts, Jess.«
Er war schon seit geraumer Zeit Kapitän und sprach Befehle aus wie ein Mann, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte. »Ich habe mich noch nicht entschieden.« Sie gähnte, was sie selbst überraschte.
»Dann schlage ich vor, dass Sie es trinken, ehe Sie wieder einschlafen. Oder Sie stellen es einfach beiseite. Sie können wirklich unbesorgt sein.« Käpt’n Sebastians tiefe Stimme rollte sanft und beruhigend über sie hinweg, vertrieb Reste von Furcht aus den hintersten Winkeln und löste die Knoten in ihrem Nervenkostüm.
Er konnte sie einfach nehmen, ihr jegliches Übel antun. Doch er tat es nicht. Hier und jetzt, und weil er so ein gefährlicher Mann war, wusste sie, dass sie ihm vertrauen konnte. So etwas nannte man paradox. Auch wenn sie es noch von drei oder vier verschiedenen Standpunkten aus betrachtete, kam sie zum selben Ergebnis.
War es nicht ein Glück, dass ihr Gehirn wenigstens so gut funktionierte, um ihr dies mitteilen zu können? Sie nahm einen großen Schluck Brandy.
Er sah den genauen Zeitpunkt, als sie sich entschloss, ihm zu vertrauen. Sie trank den Brandy und verlor das Aussehen einer Katze in einem sinkenden Rettungsboot.
Das war gut. Er hatte es so verdammt satt, ihr Angst einzujagen.
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