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Eine riskante Affäre (German Edition)

Eine riskante Affäre (German Edition)

Titel: Eine riskante Affäre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bourne
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dieser Spezies gehört hatte. Ihr fehlte das feine Gespür für moralische Werte.
    Ich muss zu Papa. Er wird sich um mich sorgen, wenn ich nicht komme.
    Als sie die Tür untersuchte, fand sie diese unverschlossen vor. Natürlich hätte eine verriegelte Tür sie auch nicht aufgehalten, doch es war erfreulich, den Morgen nicht damit beginnen zu müssen, Schlösser aufzubrechen. Der Flur zur Dachkammer ging um die Ecke, wo sich in der Stirnwand ein diamantförmiges Fenster befand.
    Während sie die Stufen hinunterstieg, stützte sie sich hin und wieder mit einer Hand an der Wand ab, da ihr etwas schwindlig war. Ganz oben befand sich ein blanker, sauberer Holzfußboden. Im darunterliegenden Geschoss war der Boden mit einem grünen Läufer bedeckt. Kennett musste sie letzte Nacht den ganzen Weg – drei Stockwerke – nach oben getragen und zu Bettgebracht haben. Da hatte er einen ausgefüllten Abend gehabt.
    Der erste Stock war mit einer prächtigen Einrichtung versehen. Sie durchquerte ihn auf weichem blauem Teppich in Richtung der Hausvorderseite. Hinter den Türen hier befanden sich Schlafzimmer. Sie hätte sie anhand ihres individuellen Geruchs unterscheiden können – dem von sauberem Bettzeug, Blumen und teurem Parfum – und gewusst, welche sich zu plündern lohnten, begäbe sie sich auf nächtliche Diebestour. Zwischen den Türen hingen persische Miniaturen in kunstvoll geschnitzten Elfenbeinrahmen. Am hinteren Ende des Ganges war ein riesiges offenes Fenster mit zurückgezogenen Vorhängen.
    Ich habe mich nie an das Leben in einem feinen Haus mit all dem Prunk gewöhnt. So wohnen feine Pinkel … ich nicht.
    Sogar jetzt konnte sie nicht einfach durch ein Haus gehen, ohne sich zu überlegen, was sie mitgehen lassen würde. Was nicht bedeuten sollte, dass sie sich am Ende immer an fremden Dingen vergriff. Sie sah sich nur um.
    Als sie das eiserne Geländer erreichte, warf sie einen Blick über die gewundene Treppe in die Eingangshalle nach unten. Der Boden bestand aus schwarz-weißen Marmorquadraten, Dinan- und Carrara-Marmor, schachbrettartig angeordnet. Das Haus, das ihr und Papa in St. Petersburg gehörte, hatte auch so einen karierten Fußboden und Säulen an den Seiten.
    Whitby’s hatte Carrara-Marmor aus Livorno verschifft, als der Hafen noch offen gewesen war und vorbeifahrende Schiffe nicht beschossen worden waren. Mit Marmor ließen sich schöne Gewinne erzielen, doch er war so schwer zu verstauen wie eine dreibeinige Sau.
    Der Kristallkronleuchter dürfte knapp zwei Meter groß sein. Schönes Ding. Hoch erhobenen Hauptes schwebte Jess die Treppe hinunter und ließ dabei die Finger übers Geländer gleiten. Sie gestattete sich, so zu tun, als stünde ihr großer Auftritt bei einer Gesellschaft bevor. Bei einer so prachtvollen Treppe kam man um ein derartiges Verhalten gar nicht herum. Die Stimmung wurde jedoch ein wenig getrübt, weil jemand fortwährend an die Haustür pochte.
    Wer auch immer das war, begehrte offensichtlich Einlass. Anscheinend herrschte in diesem Haus gerade ein Mangel an Dienstboten. Jedenfalls kam niemand, um zu öffnen. Ein verlässlicher Hinweis darauf, dass es vielleicht keine gute Idee sein könnte, es dennoch zu tun. Außerdem sollte es nicht ihre Sorge sein. Erstaunlich, wie viel Ärger man sich ersparen konnte, wenn man sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte. Daran hatte Lazarus sie von Zeit zu Zeit erinnert. Papa auch.
    Möglicherweise standen Gerichtsvollzieher, Wilde aus Borneo oder eifersüchtige Ehemänner auf der anderen Seite dieser Tür. Zweifelsohne eine Angelegenheit, die man lieber ignorieren sollte.
    Doch Jess’ Neugier war geweckt. Als sie die Tür öffnete, erblickte sie einen hageren Kerl in einem knittrigen Anzug, drei Arbeiter und fünf große Holzkisten mit Seilgriffen dicht gedrängt auf der Veranda. Immerhin nicht der Gerichtsvollzieher.
    Der hagere Kerl marschierte schnurstracks ins Haus. »Sag Standish, dass ich hier bin.« Er reichte ihr seinen Hut. »Ich brauche Tee. Schutzhauben. Dienstboten mit Brecheisen. Und Standish.« Als sie mit dem Hut in der Hand verharrte, fü gte er »Husch, husch« hinzu und machte eine scheuchende Geste. »Sag ihm, ich hätte die Kragenurne und die Riefenkeramik dabei. Steh nicht rum wie eine dumme Gans!« Dann fing er an, den gelangweilt wirkenden Arbeitern eine Predigt zu halten.
    Einen gefährlichen Eindruck machte er nicht, auch wenn er im Begriff war, die Eingangshalle mit Kisten zu fluten.

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