Eine riskante Affäre (German Edition)
in die Menge aus Arbeitern, Schlampen, Bettlern und Dieben, die zur Arbeit eilten.
10
Douglas Hotel, Bloomsbury
»Hilf mir mal.« Mit einem Ächzen hob Sebastian ein Ende des Bettes an. Adrian schob eine Ecke vom Teppich darunter.
»Na, das war dann wohl Zeitverschwendung.« Adrian richtete sich auf und wischte sich die Hände ab.
»Wir mussten aber nachsehen. Stellen wir die Sessel wieder zurück.« Er platzierte die breite Bergère vor die Fenster in einen Lichtfleck, den die späte Nachmittagssonne warf. Der andere Sessel, ein großer, weicher Lehnstuhl, gehörte an die Feuerstelle. Der Tisch wanderte daneben. Die Lampe kam auf den Tisch, dann das Gefäß mit den Rosen. Sobald sie fertig wären, würde nichts mehr darauf hindeuten, dass hier irgendetwas verrückt worden war. So etwas hatten sie schon früher getan, beim Sammeln von Beweisen in Frankreich.
Die Whitbys lebten im unauffälligen Komfort dieses Hotels, wenn sie in England waren. Dafür wurde exklusiv eine Suite mit hellen, hohen Räumen, von denen aus man den Russell Square überblicken konnte, für sie bereitgehalten. Whitby war der Besitzer des Hotels.
Wenn Jessamyn Whitby mit ihrem Vater unter einer Decke steckte, befand sich der Beweis möglicherweise hier, in ihrem Schlafzimmer, fernab der neugierigen Blicke in den Whitby-Büros. Sebastian ertappte sich dabei, dass er hoffte, nichts zu entdecken. Was hatte das zu bedeuten, wenn er schon nach Wegen suchte, um sie für unschuldig zu erklären?
»Du wirst keine gestohlenen Papiere finden.« Adrian stand mitten auf dem Aubusson, drehte sich langsam und ging dabei alle Möglichkeiten durch. »Wenn sie hier irgendetwas aufbewahrt – was ich bezweifle – , wird ihr Versteck ein augenfälliger Ort sein. Teuflisch gerissen, unergründlich offenkundig. Wenn ich ihn finde, trete ich mir selbst in den Hintern.«
»Tu das. Ich mache mich ans Bücherregal.« Er zog einen Stapel Bücher aus dem obersten Regal und fing an, sie durchzusehen. Jess bewahrte keine Briefe aus dem Kriegsministerium in einem offenen Regal in der Ecke ihres Schlafzimmers auf, zwischen Kurioses aus Griechenland und Per Maulesel durch Serbien , doch für Adrian wäre es augenfällig genug.
Vielleicht würde er keine gestohlenen Papiere finden, dafür jedoch Jess entdecken. Teile von ihr waren hier überall verstreut, an dem Ort, an dem sie lebte, und in den Dingen, die sie besaß. Dieser Raum würde ihm verraten, wer sie war. »Was berichtet Doyle über die Iren?«
»Fünf sind auf der Katherine Lane umgekommen, wo sich jetzt der Stadtverwalter um sie kümmern muss.« Adrian schlenderte zum Frisiertisch und durchstöberte ihn. »Ein Ire ist kampfunfähig und irgendwo in Whitechapel untergetaucht. Einen anderen hat Lazarus aufgegabelt. Lazarus findet es ganz und gar nicht gut, wenn man in seinem Stadtteil verstümmelt und entführt, da das doch sein Privileg ist. Bleiben noch vier, die frei herumlaufen.«
»Mehr, als ich auf den Fersen haben möchte.« Vier Mann, die Jess Whitby jagten.
»Und damit ist Irland leider noch nicht von Schurken befreit. Ich bin froh, dass sie heute in deinem Haus übernachtet.« Adrian legte den Kamm und die Bürste nebeneinander auf ihren Frisiertisch. »So darf ich unter anderem ihr Schlafzimmer durchsuchen.« Er schnitt Grimassen in den Handspiegel, legte ihn zurück und schnupperte an einer Parfumflasche. »Jasmin. Von Houbigant in Paris. Das habe ich ihr immer gekauft, als sie zwölf war. Sie hat mich noch nicht ganz aus ihrem Leben gestrichen. Was noch … ?« Er zog eine Schublade heraus. »Kein Puder. Keine Töpfchen mit Rouge. Keine verborgenen Schönheitsmittel. Daraus schließen wir, dass es keinen Mann gibt, den sie bezirzen möchte. Ein willkommener Hauch von Einfachheit in dieser verzwickten Angelegenheit.«
»Bei Jess ist überhaupt nichts einfach.«
»Ganz im Gegenteil. Es gibt niemanden, der offener ist. Sie ist die Anleitung in Person, wie man es unterlässt zu lügen. Wie geht’s ihr?«
»Sie ist ganz schön angeschlagen, hat Schmerzen, was sie sich aber nicht anmerken lassen will. Wahrscheinlich schläft sie gerade. Eunice gibt mir Bescheid, wenn es ihr schlechter geht.« Er arbeitete den Stapel systematisch ab, indem er ein Buch nach dem anderen durchblätterte und aufs Regal zurückstellte. »Ich habe sie ins Bett gebracht. Vielleicht kann ich sie so weit einschüchtern, dass sie für ein oder zwei Tage dort bleibt.«
»Na, dann viel Glück. Wir stehen alle hinter dir.«
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