Eine riskante Affäre (German Edition)
gewickelt.
Das ist privat. Das ist ihr Herz. Ich sollte ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich mir das hier ansehe.
»Was zum Teufel soll ich mit Yorkshire anfangen?« Adrian klappte die Briefe zusammen, legte das blaue Band darum und beugte sich beschwingt vor. »Mein Gott. Ich war nie so jung. Ich bin froh, dass Jess es gewesen ist, wenigstens eine Zeit lang.«
»Die Schleife sah anders aus.«
»Ich zeige ihr, dass jemand in diesem Zimmer war.« Er legte die Briefe sorgfältig in den Kasten zurück und schloss den Deckel. »Kein überwältigender Briefpartner, der junge Ned, doch ich glaube nicht, dass ihr das aufgefallen ist.«
Das war der Name, der in der Odyssee stand. »Wer ist Ned?«
Adrian war aufgestanden und durchquerte gemächlich den Raum. Am Kamin blieb er stehen und starrte hinein. Er wartete genau so lange, bis es anfing, auf die Nerven zu gehen. »Der ehrenwerte Edward Harrington, Lord Harringtons dritter Sohn. Ned. Sie war fünfzehn. Er war intelligent, charmant, ehrgeizig und unendlich in sie verliebt.«
»Ein Musterknabe.«
»Es hat mich über die Jahre hinweg sehr zufriedengestellt, wenn ich daran dachte, dass Jess diesem Jungen draußen im Stroh eines Pferdestalls ihre Jungfräulichkeit schenkte.« Er verschob die Brandschürze. »Er hatte das Gesicht eines jungen Apollos.«
Jess’ Geliebter. Derjenige, der für das Wissen in ihrem Blick verantwortlich war. »Was ist passiert?«
Adrian fuhr mit dem Daumen über die Schnitzereien am Kamin. Das schwarze Marmorsims war mit Blumenschnörkeln verziert. »Riesengroßes Pech. Josiah hatte ihn als Frachtexperten angeheuert, um zu sehen, wie er sich schlug. Ned starb vor der Barbareskenküste als Held, nachdem er zwei Schiffskameraden das Leben gerettet hatte. Er war erst siebzehn.« Adrian rollte die Hemdsärmel hoch und kniete sich auf die Steine vor dem Kamin. »Das folgende Jahr verbrachte Jess damit, Europas bestes Buchführungssystem zu entwickeln. Ich glaube, sie hat monatelang kein Auge zugemacht.«
»Ich verstehe.« Er war sich nicht sicher, was er verstand, außer dass er auf einen – halb so alten und bereits toten – Jungen eifersüchtig war.
»Er war ein besserer Mensch als jeder andere von uns.« Adrian zog das Messer aus dem Futteral an seinem linken Unterarm. »Und ich denke, dass Jess uns etwas dagelassen hat … Ja. Hier haben wir etwas Asche von einem kürzlich abgebrannten Feuer. Hast du in diesem Zimmer etwa Papier verbrannt, als du das letzte Mal da warst, mein Mädchen? Ich war bei deiner Ausbildung sehr nachlässig, wenn du dir solch einen Fehler leistest.« Die Spitze seines Messers verschwand in dünner grauer Asche und teilte deren Schichten. »Hier steht etwas geschrieben. Gib mir doch mal ein Blatt von dem Papier da. Und die Feder.«
So etwas hatten sie schon einmal gemacht. Papier und Federn lagen in dem kleinen Schreibtisch. Sebastian rieb die Feder einige Male auf dem Wollstoff seines Ärmels hin und her und reichte sie dann Adrian. Sie hielten beide den Atem an, als Adrian mithilfe der Feder einen Aschefetzen herausangelte und auf das leere Blatt legte.
»Da haben wir’s. Gut. Schau doch mal, ob du etwas damit anfangen kannst.« Adrian überreichte es ihm vorsichtig. »Das ist ihre Schrift.«
Das Fragment war blassbraun und an den Rändern versengt, die Schrift kaum lesbar. Ein Wort sprang ihm entgegen. Dann ein weiteres. Fünf oder sechs Buchstaben hintereinander. Einige konnte er entziffern. »Es ist eine Liste mit Schiffen. Mary Jane … was auch immer. Die Prosper … Das heißt entweder Prosperity oder Prospero . Daneben stehen Daten. Lady of Swansea . Die Lively … Das muss die Lively Dancer sein. Eines von meinen.«
»Sie hat es gestern verbrannt, kurz bevor sie auf die Katherine Lane kam.« Adrian stocherte weiter in der Asche, schüttelte den Kopf und stand auf. »Nichts Brauchbares mehr.« Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Hände ab. »Schiffe. Warum? Was hat das zu bedeuten?«
Das bedeutet, dass sie nach Cinq sucht . »Sie verfolgt Schiffsbewegungen. Sobald ich einen Blick auf die Papiere in ihrem Büro geworfen habe, weiß ich mehr.«
Wie jagt die Frau, die Europas bestes Buchführungssystem geschaffen hat, Cinq? Sie fertigt eine Liste von Schiffen an. Und dann stellt sie mir nach. Wieso?
Draußen vor dem Fenster, fünfzig Meter weiter, erwuchs ein spitzer Lichtstrahl aus einer Straßenlaterne, der gleich darauf in einen sanften, runden Schein überging. Der
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