Eine riskante Affäre (German Edition)
überraschte.
Sie schnalzte mit der Zunge, um Kedger zu sich zu rufen. Er kletterte auf den Stuhl und schnupperte an der Tasche. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie zusammen einen Ausflug unternommen hatten, doch er erinnerte sich.
»Jess, lass das! Denk mal kurz nach. Josiah wird mir die Eingeweide herausreißen, wenn ich zulasse, dass du Dummheiten machst, während er … «
»Während er im Kittchen sitzt und mich nicht davon abhalten kann. Da haben Sie recht, Mr. Pitney. Das wird ihm ganz und gar nicht gefallen.« Sie zog sich ihren Werkzeugrucksack probehalber über die Schulter. Dann steckte sie ihn sich unter den Arm, an die Stelle, wo sich all die Knöpfe und Unebenheiten vertraut anfühlten. »Der Kapitän hat uns einen Besuch abgestattet. Eine Dame wäre so höflich, diese liebenswürdige Geste zu erwidern.«
»Der Geheimdienst hat Leute … «
»Die mir folgen. Ich weiß. Man ist nie allein, wenn man das Interesse des britischen Auslandsgeheimdienstes an seiner Person geweckt hat. Ich nehme den Hinterausgang.« Sie ergriff das Kleiderbündel. Kedger, der die Abläufe kannte, sprang ab und landete auf ihrer Schulter. Als sie ihren Umhang umlegte, schlüpfte er in die große Tasche. Sein Platz. »Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Spaß es mir machen wird, ihnen zu entwischen.«
Neben einer am Bordstein wartenden schwarzen Droschke vertrieben sich drei Männer die Zeit. Sie hätten ein Trupp irischer Arbeiter sein können, die Fässer vom Wagen zum Lagerhaus rollten. Sie hätten sogar für Whitby’s arbeiten können. Bei den meisten Männern an diesem Ende der Straße war das der Fall. Und diese drei hier hatten ein wachsames Auge auf den Haupteingang von Whitby Trading.
Quer über die Straße, etwa fünfzig Meter weiter, stand ein Marinesoldat und wartete gelassen, den Rücken zur Wand gedreht. Er war im Auftrag des Militärgeheimdienstes hier, ein Handlanger von Colonel Reams.
Sebastian Kennetts Leute waren im Haus, in der Eingangshalle. Die beiden saßen auf einer Holzbank und lasen sich Wort für Wort durch die London Times … unter den missbilligenden Blicken des Pförtners.
Der britische Auslandsgeheimdienst war ebenfalls anwesend. Unsichtbar. Ein Straßenfeger. Ein Ober, der vor einer Schenke rauchte. Zwei Männer, die einen Stapel Kisten überprüften und dabei wie Bankangestellte gekleidet waren, muskelbepackt wie Urwaldkatzen.
Es waren die Einzigen, die mitbekamen, dass Jess hinten aus dem Haus schlüpfte. Sie brauchte eine halbe Stunde, um sie abzuschütteln.
14
Eaton Expediters
Seit jeher hatte Jess Dächer gemocht. Sie liebte es, sich in luftiger Höhe aufzuhalten. Hier oben gab es eine ganze Stadt, von der, abgesehen von Schornsteinfegern und Dieben, niemand etwas wusste. Schräge, wild durcheinanderlaufende Straßen führten meilenweit über Giebel und quer über Balkone. Schornsteine und Zäune rauf und runter. Hier war es ruhig und friedlich. Sicherer als unten auf der Straße, wenn man so darüber nachdachte. Ihr ganz privates London. Auch das war etwas, das sie aufgegeben hatte, als sie anständig geworden war.
Sie hatte ihren Umhang und ihre Frauenkleider bei Doyle am Fuß des Abflussrohres zwei Häuser zuvor gelassen. Man hätte ebenso gut eine Leiter ans Haus stellen können, anstatt ein Regenrohr zu erklimmen. Doyle hatte gefragt, warum sie denn nicht gleich von der Tower Bridge spränge, wenn sie da hochklettern wollte. Das würde ihm unnötige Sorgen ersparen. Ein Mann, mit dem man prima zusammenarbeiten konnte, dieser Mr. Doyle.
Für Katzen war dies hier oben eine ganz normale Schnellstraße. Hier rüberzukrabbeln war das reinste Vergnügen.
Damit sich ihre Silhouette nicht gegen den Himmel abzeichnete, kauerte Jess sich auf das Gesims und blieb dicht am Dach. Sie verbarg ihr Haar in einem schwarzen Schal und trug eine rußfarbene Hose mit gleichfarbigem Hemd. Sollte sie entdeckt werden, war sie klein genug, um als Schornsteinfegerjunge durchzugehen. Drüben, auf der anderen Seite der Gasse, befand sich Eaton Expediters. Ein Zwei-Meter-Sprung … mehr oder weniger.
Solides Unternehmen. Der Kapitän war nur einer der Spediteure, die Eaton ihren Papierkram und die Buchführung überließen, anstatt sich eigene Angestellte für diese Dinge zu leisten. Trotzdem sollte er sich lieber eigene Geschäftsräume zulegen. Kennett Shipping war auf eine Größe angewachsen, bei der es eines Geschäftsführers bedurfte, der an Land blieb und sich um die Fracht
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