Eine riskante Affäre (German Edition)
sie auftauchte. Man sollte meinen, dass er sich allmählich daran gewöhnt haben müsste.
»Jess.« Seine Stimme klang ärgerlich. »Was machst du hier?«
Sie zwinkerte ihm zu. »Was, Rev’rend? Mögen Sie mich etwa nicht mehr? Sie haben gesagt … «
»In mein Büro, wenn’s genehm ist.« Er packte sie am Ellbogen und zerrte sie vom Tisch weg.
»Nicht vom rechten Pfad abkommen, Meister. Verdammt, Sie können’s ja wohl kaum erwarten, was?«
Als sie an zwei Männern vorbeikam, hörte sie, wie der eine zum anderen sagte: »Das ist Whitbys Tochter. Man erzählt, sie gehört dem Toten Mann, sie … « Also ging sie davon aus, dass Reverend Palmers Ruf ihretwegen keinen großen Schaden nehmen würde.
Der Reverend stampfte durch sein Büro. »Würdest du bitte nicht hierherkommen? Es ist nicht sicher.«
Sie nahm einen der Stühle mit den kerzengeraden Lehnen. »Das war auch mein Gedanke, als ich hereinkam. Ich muss vorsichtiger sein.«
»Ich habe das mit deinem Vater gehört. Wenn es etwas gibt, das ich tun kann … Nun, natürlich gibt es da etwas, und ich mache es bereits, doch ich habe große Zweifel, dass du gekommen bist, um meine Gebete zu hören.« Auf seinem Schreibtisch stand eine Kanne Tee, der fast kalt war und bereits Milch und Zucker enthielt. Nachdem der Reverend ihr eingeschenkt hatte, stellte Jess die Tasse beiseite und trank nicht einen einzigen Schluck. Es war nicht das erste Mal, dass sie Tee mit Reverend Palmer trank.
»Ich lasse dich von jemandem, auf den Verlass ist, von hier wegbringen.« Er strich sich durch sein glattes, schütteres Haar. »Obwohl ich nicht glaube, dass jemand etwas mit einem Mitglied des Haushalts von Eunice Ashton zu tun haben möchte. Oder mit jemandem, den dieser Bastard Kennett für sich beansprucht. Oder mit der Tochter deines Vaters, wenn wir schon dabei sind. Aber vielleicht erkennt dich nicht jeder. Also, was machst du hier?«
»Ich bin natürlich wegen des Essens hier. Müssen es denn Bohnen und Kohl sein? Sie wollen wohl unbedingt dafür sorgen, dass sich kein Armer Londons mehr anschleichen kann?«
»Billig und nahrhaft, genau so, wie du es angeordnet hast. Dann willst du also die Bücher inspizieren?«
»Dafür haben Sie doch den Aufsichtsrat, dass er Sie wegen Ihrer Buchführung schikaniert. Oh, da fällt mir etwas ein. Die letzte Woche habe ich damit zugebracht, Anwälte reich zu machen. Es wird einen Treuhandfonds geben, ab Dienstag in einer Woche. Dann müssen Sie nicht mehr höflich zu mir sein. Ab nächstem Dienstag, wenn die Papiere bewilligt werden, können Sie sich sogar richtig unhöflich benehmen.«
»Ein Treuhandfonds?«
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Das Geld kommt in der gewohnten Höhe. Nur eben nicht mehr von Whitby’s. Unerbittliche Quaker-Herren von der Hoare’s Bank werden es verwalten. Ist das nicht ein verwegener Name für eine ehrwürdige Bank? Einer meiner Angestellten wird Ihnen einen langen, unverständlichen Brief in dieser Angelegenheit schicken. Ich rate Ihnen, ihn zu ignorieren.«
»Ist es viel Geld, das ihr verschenkt?«
»Geht so. Ab einem gewissen Punkt kann man nicht mehr so viel damit anfangen. Trotzdem macht es Spaß, es sich zu erarbeiten.«
Die Existenz dieses Ortes und zwanzig weiterer seiner Art quer durch East London wäre gesichert, wenn Whitby’s fiele und die Regierung alles beschlagnahmte. Welch heiterer Gedanke, die Regierung Seiner Majestät zu betrügen, um den Abschaum der Erde durchzufüttern! Wohltätigkeit war ein stilles Kichern in einer finsteren Welt. »Eigentlich bin ich gekommen, weil ich Hilfe brauche.«
»Was auch immer es ist.«
Mit einem Grinsen schlug sie die Röcke bis zum Knie auf und zog gefaltete Zettel aus dem Strumpfband. Was den Reverend jedoch nicht beeindruckte. Sie hatte nie etwas gefunden, womit man den Reverend schockieren konnte. »Ich habe Heimlichkeiten. Beichtgeheimnis?«
»So etwas kennt die Anglikanische Kirche nicht, wie du sehr wohl weißt. Doch wenn du möchtest, dass ich feierlich schwöre … «
»Wie wär’s, wenn Sie mir sagen, was hier steht?« Sie reichte ihm die arabischen Zeilen, die sie in Sebastians Schreibtisch gefunden und abgeschrieben hatte.
Der Reverend zog eine Augenbraue hoch. »Natürlich. Ich müsste nur … « Er klopfte seine Jacke ab und setzte sich die Brille auf, als er sie schließlich auf dem Schreibtisch fand. »Also dann. Was haben wir denn da?« Eine Zeit lang betrachtete er die von ihr notierten Symbole und
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