Eine riskante Affäre (German Edition)
kämmte ihr Haar mit den Fingern und zog sich einen Großteil davon rund um ihr Gesicht. Zu spät, um sich Gedanken zu machen, was ihre Männer dachten, wenn sie sie jetzt sahen.
Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte, darum fasste er nach ihren Händen, um sie zur Ruhe zu bringen. »Lassen Sie mich das machen. Und, nein, das war kein Fehler. Sie waren sich dessen ganz bewusst.« Dann führte er Strähnen ihres Haars hinter ihre Ohren und stopfte sie ihr in den Nacken.
Er verschiffte Kunstwerke um den halben Erdball – Statuen aus Griechenland, byzantinische Madonnen, alte geschnitzte Figuren aus den Wüsten Ägyptens. Nicht des Profits wegen, sondern weil es ihm Freude bereitete. Auf diese Weise hatte er die Möglichkeit, für die Dauer einer Reise eine Schönheit in Händen zu halten und zu bewundern. Jess zu berühren bedeutete, Anspruch auf diese Art von Schönheit zu erheben, jedoch in warmer und lebendiger Form. Sie war atemberaubend.
»Mir hat’s gefallen«, gestand er. »Und Ihnen auch.«
»Verschwinden Sie aus meinem Lagerhaus.« Doch sie war noch nicht wieder zu Atem gekommen und hielt ihn auch nicht auf, als er einzelne Haare aufwickelte und unter ihren Zöpfen verschwinden ließ.
»Wir machen ein anderes Mal weiter.«
»Nicht diesseits der Hölle.«
»Seien Sie heute Abend rechtzeitig zu Hause, damit Sie sich für das Treffen der Historischen Gesellschaft umziehen können, oder ich komme Sie holen. Schaffen Sie den Rest des Weges jetzt allein? Ihre Angestellten werden sich allmählich wundern.«
»Meine Angestellten dürften mittlerweile ihre Schlüsse gezogen haben. Sie sind nicht dumm.«
Grimmig stieg sie die Treppe vor ihm hoch, schwang sich um die Eisenkugel, die das obere Ende des Handlaufs zierte, und stapfte wütend durch die Halle. Ein Laufbursche wagte nur einen kurzen Blick und wich dann hastig in den nächsten Gang zurück.
Sebastian beobachtete sie, bis sie in ihrem Büro verschwand. Als sie zwischen den links und rechts aufgereihten Schreibtischen der Angestellten hindurchstampfte, war jedermann an seinem Platz, die Feder in der Hand, den Blick auf das Papier vor sich gerichtet und sehr beschäftigt.
18
Ludmill Street, Whitechapel
Jess kannte ein Dutzend Leute, die Arabisch sprachen, doch nur zwei von ihnen konnten es auch schreiben. Einer der beiden war Papa, und mit so einem Anliegen konnte sie doch wohl kaum in der Meeks Street erscheinen.
Der andere war der Reverend. Da sie ihn ohnehin mal wieder besuchen wollte, traf sich das gut. Manchmal spielte das Leben eben so.
Die Ludmill Street war ein gefährlicher, hässlicher Ort. Die Straße war kaum breit genug, um einem Karren Platz zu bieten. Das Pflaster fiel steil zu einer in der Mitte verlaufenden Rinne ab, die stank und voller Unrat war. Hier gedieh nicht einmal Gras, nur eine gewaltige Menge Menschen. In einem wilden Durcheinander hingen Wäscheleinen aus jedem Fenster. Sie waren kreuz und quer über Jess’ Kopf gespannt und verhinderten, dass die Sonne es bis unterhalb der Dachlinie schaffte. Die Fenster der Mietshäuser waren blind, dunkle Quadrate ohne Glasscheiben, nur Holzklappen, die Diebe aus dem Haus hielten. Verrückterweise war die Tür eines Hauses angelehnt und gab den Blick auf Männer und ungepflegte Frauen frei, die sich auf Strohlagern am Boden rekelten. Auf dem Schild draußen stand:
Gin. Betrunken für einen Penny. Sturzbesoffen für drei Pence.
Kinder bevölkerten die Straße und tummelten sich schreiend auf den Treppen. Verschlagene, bissige Biester, diese Kinder. Dazwischen liefen Straßenköter, die stehen blieben und Jess’ Röcke beschnüffelten, als sie vorbeiging. Wie immer an einem Ort wie diesem hielt sie einen Stein in der Hand parat, um jeden Hund in die Flucht zu schlagen, dem es einfiele, sie zu beißen. Einige der Kinder hätten wahrscheinlich versucht, ihr die Geldbörse zu stehlen, wäre sie so dumm gewesen, eine bei sich zu haben.
Alles war anders gewesen, als sie noch ein kleines Mädchen war. Vielleicht hatte sie mehr Stärke besessen. Sie hatte keinen Ort gescheut, nie Angst gekannt. Das gesamte East End war ihr Spielplatz gewesen, jede einzelne dreckige, von Ratten nur so wimmelnde Gasse. Jeder hatte sie gekannt. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte wohl halb East London ihren Namen gewusst.
Der Geheimdienst war ihr bis hierher gefolgt. Ab und an konnte sie einen von ihnen einen Moment sehen. Sie waren ihr hartnäckig auf den Fersen. Vielleicht raubte man ihnen ja die
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