Eine riskante Affäre (German Edition)
Taschen aus. Hoffentlich! Ihre kleine Spende für die Diebe auf der Ludmill Street.
Die Suppenküche war geöffnet und bot das Abendessen an. Jess begann zu humpeln, als sie sich ihr näherte, und ging wie eine müde kleine Covent-Garden-Hure, die nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag zurück war und nicht mehr übers Geschäft reden wollte.
»Schlechten Tag gehabt, Liebes?«, fragte die Frau am Ende der Schlange sie.
Jess zuckte mit einer Schulter. »Blanker Horror, was einige Kerle so woll’n.«
»Wie wahr, wie wahr, Liebes.«
Das heutige Essen bestand aus Kohlsuppe mit Bohneneinlage und hartem Schwarzbrot. Von dem Mann am Topf ließ sie sich eine Kelle voll auffüllen und Brot in die Suppe stopfen. Sie setzte sich zu den anderen Frauen. Schon bald gesellte sich ein Teil einer Familie zu ihr, eine Frau, die nach Gin roch, ihr Baby und zwei Jungen.
»Isst du das?«, wollte der ältere Junge wissen.
Jess betrachtete die Suppe und entschied nach allem Für und Wider, nein, das hier würde sie nicht essen. Sie schüttelte den Kopf, und er nahm die Schale und verschlang die Suppe, ohne mit seinem Bruder zu teilen.
Sie zerrupfte ein kleines Stück Brot in noch winzigere Stücke und dachte über den Reggio-Brief nach, den sie gefunden hatte, und über Sebastian. Er kann nicht Cinq sein . Doch dann zählte sie immer wieder alles zusammen und kam manchmal zu dem Ergebnis, dass er es doch sein könnte.
Ein Mann wie Sebastian würde Geheimnisse nicht des Geldes wegen stehlen. Vielmehr ginge es ihm um Politik, Idealismus und den Glauben an die Republik drüben in Frankreich; er wäre benebelt von schönen Worten und Träumen, ohne einen Blick für die Realität zu haben. Wahrscheinlich hatten sein Onkel und seine Tante, bei denen er aufgewachsen war, ihn auf die verrücktesten Ideen gebracht. Eunice und Standish waren zwar etwas sonderbare Fundamentalisten, aber gute Menschen und harmlos wie Mäuse, welchen Unsinn auch immer sie glauben mochten.
Sebastian wäre nicht harmlos. Er wäre niemals einfach nur harmlos.
Jess hatte Freunde in Frankreich, die glaubten, Napoleon drehe an einer Kurbel, und die Sonne ginge auf. Daran war vermutlich nichts Schlimmes, wenn man Franzose war; für einen Engländer jedoch war solch eine Denkweise nicht vorstellbar.
Wahrscheinlich würde Sebastian nach Frankreich fliehen, wenn sie ihn anzeigte.
»Was hast du mit deinen Händen gemacht?« Der Junge – er war sieben oder acht – hatte die Suppe aufgegessen und betrachtete Jess’ kleine weiße Narben. Diese stammten von den Rattenbissen nach ihrem Absturz, der jetzt schon lange zurücklag. Den meisten Leuten fielen sie nicht auf. Scharfsinniges Kerlchen. Wäre sie noch bei Lazarus gewesen, hätte sie ihm den Jungen vorgeschlagen. In etwa einem Jahr könnte er einen guten Laufburschen abgeben.
»Ach«, antwortete sie. »Das ist ’ne lange Geschichte.«
Der andere – jüngere – Junge hörte auf, seine kleine Schwester, das Baby, zu ärgern, und beugte sich vor, um zuzuhören. »Ich war etwa so alt wie du, glaube ich, und bin eines Tages mal so durch den St.-James-Park geschlendert, um frische Luft zu schnappen … als ich was sehe? Das hübscheste Paar Enten, das mir je untergekommen ist. Sitzen da mitten auf’m Teich. Jammerschade, wenn’s die nicht zum Abendessen gibt, sag ich so zu mir. Also hab ich das Stück Brot rausgeholt, das ich in der Tasche hatte … «
Sie fuhr ein Weilchen fort zu erzählen. Währenddessen aß die Frau und fütterte das Baby mit mundgerechten Portionen Brühe, die sie es vom Rand der Schüssel saugen ließ. Jess hatte beide Jungen zum Kichern gebracht. »… fing diese hässliche Ente an zu kreischen wie ’ne Wirtin, die ihre Miete haben will. Wie auch immer, ich … «
Der Reverend kam an die Tische, um mit den Leuten zu reden. Heute waren eine ganze Menge Bedürftige gekommen, und die meisten bereiteten sich auf ihren nächtlichen Broterwerb der illegalen Art vor. Er steuerte in Jess’ Richtung, also beendete sie die Geschichte, »… und hab diesen verfluchten Vogel nie geschnappt. Und daher hab ich die Narben. Das war der Tag, an dem ich fast von Enten zu Tode geknabbert worden wäre.«
Das ließ die beiden Jungen in erneutes Lachen ausbrechen, ebenso ihre Mutter und ein paar andere Leute, die innegehalten hatten, um mitzuhören.
Der Reverend kam, um nachzusehen, worüber sich alle so amüsierten. Jess hatte nie gewusst, warum, doch er schien sich jedes Mal zu erschrecken, wenn
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