Eine Rose im Winter
»Nun, das war noch eine ganz andere Geschichte.« Er rieb seinen Arm, als die Erinnerung an den Sturz in das eiskalte Wasser wieder schmerzhaft in seine Erinnerung zurückkehrte. Fast hätte er es geschafft, die Gerüchte von der Geisterexistenz des Mannes mit einem Schlag vom Tisch zu wischen, doch seine Pläne waren jäh gescheitert. Jetzt verlangte er nach Rache. »So oder so, er wird bezahlen.«
Timmy stieg vorsichtig aus seinem Bett, um seine Frau nicht aufzuwecken. Sie hatte sich in letzter Zeit sehr liebebedürftig gezeigt, und er war dieser übertriebenen Aufmerksamkeit etwas überdrüssig. Und dann hatte sie auch vorhin noch einen weiteren Zahn verloren, und er hat sich noch nicht an ihr schiefes Lächeln gewöhnen können.
Sein Magen meldete sich geräuschvoll, als das fettige Kraut vom Abendessen darin gluckste und rumpelte. Er öffnete vorsichtig die Hintertür und machte sich auf den Weg zu dem Klosetthäuschen, aufmerksam beobachtend, wohin er seine Schritte setzte. Seine Hunde hatten so eine Art, die Gegend mit Abfall zu verzieren, und er wollte vermeiden, daß er mit den Zehen in irgendwas trat.
Die Entfernung des Abortes vom Haus war nicht zu groß, um ihn bequem zu erreichen, doch weit genug, daß ausreichend frische Luft dazwischen lag. Er fand ungehindert seinen Weg und öffnete die knarrende Tür. Drinnen machte er es sich bequem und versank in einen verträumten halbwachen Zustand. Irgend etwas bewegte sich draußen, und er wurde aufmerksam, als er das Geräusch erneut hörte. Es war, als stapfe ein Pferd ungeduldig mit dem Huf. Er stand auf, lehnte sich nach vorn, um die Tür aufzustoßen und spähte hinaus.
Das Dunkel der Nacht war zunächst undurchdringlich. Dann kam ein leichter Wind auf, und die ziehenden Wolken ließen einen Strahl des Mondlichts über den Hof huschen. Mit einem unterdrückten, keuchenden Geräusch zog Sears den Atem ein, ein wilder Angstschrei blieb ihm in der Kehle stecken: In dem silbern scheinenden Licht stand ein riesiges schwarzes Pferd, in dessen Augen weiße Feuer zu glühen schienen. Auf seinem Rücken trug es ein schattenhaftes Gebilde mit großen Flügeln, die sich von seinen Schultern ausbreiteten, so als ob es sich vom Rücken des Rosses in die Lüfte erheben wollte.
Ein heiserer, krächzender Schrei entfuhr Timmys Kehle, und er stürzte sich zurück. Sein Fuß berührte den Sitz, und ohne Zögern warf er sich mit der Kraft von drei Männern krachend gegen die dünnen Bretter, die die Rückseite des Abtritts verkleideten. Kaum berührten seine Füße den Erdboden, rannte er in Panik und heillosem Entsetzen schnurstracks in Richtung eines dichten Dornengestrüpps.
Hinter ihm erscholl ein dröhnendes und furchterregendes Gelächter, und er verdoppelte sein Tempo. Er hielt auch noch nicht inne, als er schon tief in das schützende Gebüsch hineingerannt war, ohne zu bemerken, daß die Dornen sein Nachthemd und seine Haut zerrissen.
Später hätte er beschwören können, daß er den Hufschlag des Geisterreiters direkt hinter sich gehört habe. Seine Frau lächelte und bestätigte mit einem Nicken, daß er so schnell gerannt sei, daß es fast vier Uhr morgens war, bis er wieder in das Haus zurückkehrte. Seine Freunde in der Wirtschaft Zum Eber, die seine Rauflust kannten, begruben ihr Gelächter in ihren Krügen, bevor sie etwas gezwungen und in überlauten Tönen verkündeten, daß seine Tapferkeit angesichts des geflügelten Untiers bewundernswert gewesen sei.
***
Lord Saxton war bereits vier Tage abwesend, und obwohl Erienne mit ihren Pflichten als Hausherrin voll beschäftigt war, wurde sie hinter den dicken Steinmauern langsam unruhig. Sie erinnerte sich, daß ihr Mann ihr angeboten hatte, sich für einen Ausritt ein Pferd aus den Stallungen satteln zu lassen. Indem sie ihn beim Wort nahm, legte sie ihre Reitkleidung an und ging hinunter, um Keats von ihrer Bitte wissen zu lassen.
Seit ihrer Ankunft in Saxton Hall war sie noch nicht in die Stallungen vorgedrungen, obgleich der Gedanke an eine Flucht ihr schon durch den Kopf gegangen war. Sie hatte sich gefragt, wie weit sie wohl mit einem der Pferde ihres Mannes kommen würde. Doch die alles beherrschende Angst, daß er ihr folgen würde und sie dann seinem Zorn ausgeliefert wäre, hatte diesem immer wieder auftauchenden Gedanken stets ein schnelles Ende bereitet. Der einzige Ort, an dem sie hoffen konnte, Sicherheit zu finden, war bei Christopher Seton, doch ihr Stolz hätte ihm diesen Sieg nie
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