Eine Rose im Winter
gegönnt. Wenn ihm wirklich an ihr etwas lag, hätte er zumindest in irgendeiner Form gegen die Versteigerung protestieren können. Statt dessen hatte er sich nur zu bereitwillig der Bezahlung der Schulden angenommen und in keiner Weise widersprochen, als sie von einem anderen Mann gekauft wurde. Bei ihrem letzten Zusammentreffen hatte er ihr nicht den Eindruck gemacht, als ob er unter seiner Freiheit litte. Ginge sie jetzt zu ihm, bereit, ihm alles zu geben, was er verlangte, so würde ihn das nur noch hochmütiger machen. Sie hegte keinerlei Zweifel daran, daß eine Verbindung mit ihm für sie ein aufregendes und wildes Abenteuer bedeuten würde, doch sie wußte auch, daß sie dann eines Tages würde erkennen müssen, daß es für ihn nur eine kurzfristige Affäre war. Käme eine andere Frau, die ihm besser gefiele, so wäre dies das Ende. Es war besser, daß sie sich diesen Schmerz ersparte und sich nicht hoffnungslos in ihn verliebte.
Beim Eintreten in die Stallungen sah Erienne einen Jungen, ungefähr so groß wie sie und so an die fünfzehn Jahre, der damit beschäftigt war, weiter hinten sauberzumachen. Er richtete sich auf, als er hinter sich das Stalltor quietschen hörte. Seine Augen weiteten sich, und er kam gleich auf sie zugerannt, riß seinen Hut vom Kopf und blieb vor ihr stehen. Er stieß einige Male den Kopf nach vorn, um vielleicht ungeschickt eine Verbeugung anzudeuten. Das freundliche Grinsen, das dabei über seinem Gesicht lag, ließ sie lächeln.
»Bist du Keats?« fragte sie ihn.
»Jawohl, M'am«, antwortete er und machte noch eine weitere ungelenke Verbeugung.
»Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin …«
»Oh, ich weiß schon, wer Sie sind, M'am. Ich hab' Sie schon ein und aus gehen sehen und … wenn Sie mir das verzeihen wollen, M'am … ich hätte schon blind sein müssen, wenn mir eine so schöne Dame wie Sie nicht aufgefallen wäre.«
Erienne lachte. »Ah, so ist das. Danke, Keats.«
Sein Gesicht wurde eine Spur röter und, von seiner eigenen Kühnheit etwas benebelt, deutete er auf eine dunkle Stute mit weißen Fesseln, die in einer nahen Boxe stand. »Der Herr sagte, Sie würden vielleicht mit Morgana ausreiten wollen. Wünschen Sie, daß ich sie für Sie sattle, M'am?«
»Das fände ich großartig.«
Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sich sein freundlich grinsender Mund noch weiter auseinander gezogen, und er schlug sich seinen Hut an die Schenkel, während er sich vergnügt an die Arbeit machte. Er führte die Stute aus dem Verschlag und hielt sie, damit Erienne sie betrachten konnte. Das Tier schien einen ruhigen und friedlichen Charakter zu haben, vertrauensvoll rieb es seine Nüstern am Arm des Jungen. Trotzdem war es von einer Klasse, vor der sich Sokrates in peinlicher Verlegenheit versteckt hätte. Die Stute war fast ganz schwarz, mit einem seidenweichen Fell, langer Mähne und einem vollen Schwanz.
Erienne klopfte den dunklen Hals. »Sie ist wunderschön.«
»Jawohl, das ist sie wirklich, M'am. Und sie ist Ihnen. So hat's der Herr gesagt.«
Erienne war überwältigt. Noch nie zuvor hatte ihr ein Pferd gehört, und sie hatte im Traum nicht daran gedacht, daß sie einmal ein Tier von der Schönheit Morganas besitzen würde. Das Geschenk bereitete ihr große Freude und ließ ihr die Großzügigkeit ihres Mannes noch stärker ins Bewußtsein dringen. Obwohl sie seinen Wünschen, entgegen ihrem Gelöbnis, noch nicht nachgekommen war, schien die Kette der Geschenke nicht abzureißen. Wie tief seine Narben auch sein mochten, er schien einige Stufen über Smedley Goodfield und all den anderen Bewerbern zu stehen, von denen sie sicherlich nach dem ersten Zeichen einer Ablehnung keine weiteren Vorteile zu erwarten gehabt hätte.
»Wäre es Ihr Wunsch, daß ich mitkomme, M'am?« fragte Keats, als die Stute bereit war.
»Nein, das wird nicht notwendig sein. Ich werde nicht lange ausbleiben, und ich hab' vor, in Sichtweite des Hauses zu bleiben.«
Keats kreuzte die Finger seiner beiden Hände ineinander, um ihrem schlanken Fuß in den Reitstiefeln beim Aufsitzen Halt zu geben. Er war erstaunt, mit welcher Behendigkeit seine Herrin sich in den Sattel schwang. Sie war tatsächlich fast wie eine Feder, die nur kurz seine Hand berührt hatte. Während sie wegritt, stand er an der Stalltür und sah ihr nach, bis er sicher war, daß sie mit dem Tier zurechtkam. Dann wandte er sich mit einer munteren Melodie auf den Lippen wieder seiner Arbeit zu. Er war
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