Eine Rose im Winter
greifen und riß ihr den Ärmel an der Schulter auf, als er sie vom Pferd ziehen wollte. Erienne schlug erneut mit der Peitsche zu, jetzt schon mehr aus Wut als vor Angst. Sie war entschlossen, sich von diesem Bauernlümmel nicht unterkriegen zu lassen. Die Gerte traf seine Wange, und als sie ihren Arm zurückzog, schlug sie heftig auf das Hinterteil seiner Stute, so daß sie zurücksprang. Timmy zog es dabei fast aus dem Sattel, als er den Zaum aus der Hand gleiten ließ. Als sich sein Griff lockerte, stieß Erienne dem Pferd ihre Hacken mit voller Kraft in die Seiten, so daß es davonsprengte.
»Verdammtes Luder!« brüllte er, indem er ihr nachsetzte. »Das wirst du mir büßen!«
Plötzlich hörte man einen Schuß, der die Luft mit einem ohrenbetäubenden Knall erfüllte. Erschreckt lehnte sich Erienne vorn über ihren Sattel, da sie glaubte, daß Timmy nach ihr schoß. Dann sah sie aus ihrem Augenwinkel heraus ein anderes Pferd mit Reiter aus dem Wald heraussprengen, und sie erkannte Bundy. Er lud sein Gewehr, während er näher kam.
»Komm nur her, du verdammter Schuft!« rief er. »Komm her, damit ich dich mit Bleischrot voll pumpen kann!«
Timmy Sears sah, wie der Mann mit einem Ruck den Ladestock aus dem Lauf zog, und erkannte, daß er gleich wieder zum Feuern bereit sein würde. Daher verlor er keine Zeit, sondern wendete, legte sich dicht auf den Rücken des Tieres und schlug mit seinem Hut wie wild seinem Pferd in die Seite, um dem nächsten Schuß zu entkommen. Ein neuerlicher lauter Knall zerriss die Stille, und Timmy fühlte sich erleichtert, als er eine Sekunde später das Echo hörte. Er lachte voller Schadenfreude, als er einen lauten Fluch hinter sich hergebrüllt hörte, doch er wußte auch, daß der Mann gleich wieder laden würde, und verschwendete so keine Zeit darauf, eine höhnische Erwiderung zurückzurufen. Die Gelegenheit würde noch kommen, daß er sich an diesem Weibsbild vergnügen könnte, und er schwor sich, daß sie es dann teuer büßte.
Erienne lenkte ihr Tier so, daß sie die Flucht von Timmy Sears beobachten konnte. Das letzte, was sie von ihm sah, waren seine fliegenden Rockschöße, als er über die Kuppe des Hügels verschwand. Erleichtert sank sie in sich zusammen und atmete schwer.
Bundy brachte sein Pferd neben ihr zum Stehen und fragte besorgt: »Alles in Ordnung, M'am? Hat er Sie verletzt?«
Sie zitterte vor Aufregung und konnte nur mit einer Kopfbewegung antworten.
»Das ist ein böser Kerl, dieser Timmy Sears«, stellte er fest und sah dann den Hügel hinauf, hinter dem der rothaarige Kerl verschwunden war. Bundy atmete ärgerlich aus und seufzte enttäuscht. »Seine Lordschaft hätte ihn nicht verfehlt.«
Mit ihren immer noch zitternden Lippen war Erienne unfähig, eine Frage zu stellen.
»Is' nur gut, daß der Herr und ich zur rechten Zeit zurückkamen, M'am.«
»Lord Saxton ist zurück?« brachte sie schließlich heraus.
»Jawohl, und als er feststellte, daß Sie nicht da war'n, hat er mich geschickt, um nach Ihnen zu sehen, ihm wird das nicht gefallen, wenn ich ihm erzähle, was passiert ist. Gar nicht wird ihm das gefallen!«
Elftes Kapitel
Der hoch stehende, helle Mond rahmte silbern die schwarzen Wolken ein und zeichnete ein dahinfließendes und sich stetig veränderndes Muster von Licht und Schatten über die Hügel. Von der See her wehte eine steife Brise über das Land, die die Baumkronen zerzauste und mit luftigem Brausen über das Moor zog. Hie und da sah man noch ein paar kleine Häuser zueinander gedrängt, deren Lichter nach und nach in der Dunkelheit erloschen, sobald die Lampendochte ausgeblasen und die Fensterläden für die Nacht verriegelt wurden. Unter dem Heulen des Windes lag eine verschlafene Ruhe wie ein Zeichen einer friedvollen Sicherheit. Niemand hörte den donnernden Hufschlag des wilden schwarzen Hengstes oder sah den geheimnisvollen Reiter, der im weiten Mantel mit Kapuze das Ross in einem halsbrecherischen Galopp vorantrieb. Das Tier raste mit dem Wind auf der engen Straße, die durch das Tal führte. Seine Hufe blitzten wie Quecksilber im fahlen Licht, und sein Fell wechselte seinen Glanz mit der regelmäßigen Bewegung seiner starken Muskeln. Weit aufgerissene Nüstern und brennende Augen ließen es wie ein drachenähnliches Untier erscheinen, das der Beute auf der Spur war, und die schweigsame Figur auf seinem Rücken verstärkte den Eindruck, daß dies eine Jagd war, bei der es um Leben und Tod ging. Der wehende Mantel
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