Eine Rose im Winter
erneut auf ihrem Rücken, wo er diesmal ihre bloße Haut mit sanftem Streicheln liebkoste. Langsam hob sie ihren Kopf, um ihm in sein maskiertes Gesicht zu sehen. Ihr fragender Blick traf auf seine Augen hinter den kleinen Öffnungen.
»Bei dem Gedanken, Sie zu berühren, haben meine Hände gezittert«, wisperte er mit zerrissener Stimme. »Doch vielleicht war ich ein Opfer meiner Täuschungen.«
Ihre feingeschwungenen Brauen zogen sich in stummer Frage nach oben.
»Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch der Versuchung widerstehen kann. Sie berührt zu haben, hat mein Verlangen nur noch stärker werden lassen.« Er wartete und seufzte dann hörbar, so als ob er in seinem Inneren einen Kampf ausfocht. Er fuhr fort und wählte seine Worte mit Bedacht. »War es töricht von mir, Sie zur Frau zu nehmen, Erienne? Könnte es nicht sein, daß Sie mich weiterhin verabscheuen werden oder eines Tages einen anderen finden, dem Sie den Vorzug geben? Vielleicht war mein Verhalten gegenüber uns beiden unfair. Vielleicht war es allein meine eigensüchtige Eifersucht, die es nicht ertragen konnte, Sie in den Armen eines anderen zu sehen.«
»Ich habe das Ehegelöbnis in freier Entscheidung abgelegt, und ich werde es erfüllen, Mylord. Sie sind mein Mann, und ich kann Sie nur bitten, mir noch etwas Zeit zu gewähren, damit ich mich auf Sie einstelle. Sie wissen, daß zwischen uns eine Schranke ist. Meine Ängste sind für mich ebenso hinderlich wie für Sie Ihre Narben. Mit der Zeit jedoch werden diese beiden Hindernisse, die uns jetzt noch voneinander trennen, vielleicht verschwinden. Wenn Sie nur warten können, bis ich bereit bin! Mein Herz und mein Sinn verlangen nichts sehnlicher, als Ihnen eine gute Frau zu sein … in jeder Weise.«
Seine Hand löste sich wie von selbst von ihrem Rücken und hielt dann inne, als ob er dagegen ankämpfte, ihre Wange zu streicheln. Nach einer Weile legte er die Hand wieder auf ihre Schulter. Sie spürte, wie er hinter ihrem Rücken seine Handschuhe anzog. Einem plötzlichen Impuls folgend, legte sie ihre Hand auf seine Brust. Unter seinem frischen Hemd spürte sie feste Muskeln.
»Sie sehen, Mylord? Jetzt kann ich Sie schon berühren, ohne dabei zittern zu müssen.«
Ganz vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, hob er seine Lederhand und fuhr zärtlich mit seinem Handrücken über ihre Wange. »Meine liebe Erienne, Sie wissen, daß unter meinem verunstalteten Äußeren ein menschliches Herz schlägt, das durch Ihre Schönheit Wärme empfängt. Für mich ist es quälend zu warten, doch ich werde alles ertragen, solange ich nur weiß, daß noch Hoffnung ist.«
Er richtete sich auf und bot ihr mit ritterlicher Geste den Arm. »Madam, Sie müssen halb verhungert sein, und ich brauche jetzt die frostige Kühle des Eingangshofes, um meine Sinne abzukühlen.«
Erienne ließ mit einem Lachen ihre schlanke Hand auf seinen schwarzen Ärmel fallen. »Vielleicht sollte ich diejenige sein, Mylord, die die Maske trägt, oder zumindest ein paar Kleider mehr.«
»Wenn es nach mir ginge, eher weniger«, erwiderte er, während sein Blick auf den größten Smaragd fiel, der sich kokett zwischen ihren Brüsten barg. »Doch ich darf nicht vergessen, daß wir Dienstboten im Haus haben.«
Sie spürte seinen besitzergreifenden Blick und spielte verlegen mit dem schweren Halsschmuck. »Wenn Sie mich so ansehen, habe ich das Gefühl, daß Ihnen die Dienstboten vollkommen gleichgültig sind.«
Ihr Mann mußte sein Lachen unterdrücken, als er ihr antwortete. »Madam, wenn man für das Betrachten einer Frau gehenkt wird, dann will ich meinem Verlangen völlig nachgeben und lieber für eine schwere als eine leichte Missetat verurteilt werden. An nichts liegt mir mehr, als meine Rechte als Ehemann geltend zu machen. Bitte versäumen Sie nicht, es mir zu sagen, falls ich Ihre Abneigung überschätzen und zu lange warten sollte. Ich bin nur zu begierig, Ihnen zur Verfügung zu stehen.«
Sie glaubte, ein Lächeln auf seinen Lippen zu spüren, als er an ihr herabsah, und ihre Wangen färbten sich unter seinem Blick, der nicht von ihr weichen wollte. Als sie sich abwandte, hörte sie aus der Maske ein weiches Lachen. Seine Hand, die auf der ihren lag, umfasste ihre Finger mit sanfter Zuneigung.
***
Erienne wußte, daß sie träumte. Sie sah ihre eigenen dunklen Locken, als sie neben ihrer Mutter kniete und mit verzückter Aufmerksamkeit zuhörte, wie sie den Kindern auf dem Cembalo vorspielte. Erienne erwachte und
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