Eine Rose im Winter
lag vollkommen bewegungslos da. Sie war verwirrt, denn die zirpenden Töne des Cembalos erfüllten auf geheimnisvolle Weise das Haus. Das Instrument war verstimmt, und die Töne wurden mit soviel Kraft und Heftigkeit angeschlagen, daß es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Fast meinte sie die Wut zu verspüren, die in der Musik zum Ausdruck kam.
Es dauerte einige Zeit, bis sie die Melodie als ein ganz altes Lied erkannte, dessen Refrain die bittere Wirklichkeit beschrieb: »Ade, mein Lieb, du tat'st mir Unrecht, als ich deine Gunst verlor.«
Erienne erhob sich von ihrem Bett und legte sich den Morgenmantel um. Sie konnte sich nicht erinnern, irgendwo ein Cembalo gesehen zu haben, doch es gab viele Räume, die nicht benutzt wurden, und sie hatte auch noch nicht alle Staubüberzüge abgenommen, um die verdeckten Schätze zu betrachten.
Sie folgte dem Klang der wild angeschlagenen Akkorde und gelangte zu einem Flügel des Hauses, der noch nicht wieder bewohnbar gemacht worden war. Vom Gang aus sah sie ein schwaches Licht, das sie zu einer offen stehenden Tür führte. Sie stieß sie weiter auf und gewahrte auf einem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes einen mächtigen Leuchter, dessen gelbe Kerzenstummel das Licht verbreiteten, das sie angezogen hatte. Ein eigenartiges Gefühl bedrängte sie. Die Möbel waren alle noch von den schweren Staubbezügen bedeckt. Nur von einem Stück, das schräg im Raum stand, war der Bezug entfernt. Vor den Tasten war die Silhouette eines Mannes zu erkennen, dessen Gesicht ihr halb zugewandt war, doch blieben Kopf und Schultern im Schatten verborgen. Der Lederhelm und die schwarzen Handschuhe lagen auf dem Deckel des Cembalos. Sie konnte ungekämmte Haarbüschel erkennen, die wohl wieder zwischen den Narben gewachsen waren. Er schlug mit wilder Kraft auf die Tasten, als ob er seiner Verbitterung über die ganze Welt Luft machen wollte. Und über sie im besonderen, wie Erienne befürchtete.
Ihre Füße bewegten sich wie von selbst langsam nach vorn, bis die Musik plötzlich aufhörte und mit einem schrillen Akkord erstarb, als der Kopf des Mannes hochfuhr. Es war ihr, als ob die Augen wild aufblitzten.
»Lord Saxton?« fragte sie atemlos mit leiser Stimme.
»Treten Sie zurück!« kam der grobe und strenge Befehl. »Bleiben Sie stehen, wenn Sie nicht durch den fürchterlichen Anblick den Verstand verlieren wollen!«
Sein Ton duldete keinen Widerspruch. Erienne blieb stehen und merkte erst jetzt, daß sie ihre Pantoffeln vergessen hatte. Die Steinfliesen unter ihren Füßen waren eiskalt, und ein Frösteln fuhr durch ihre Glieder.
Lord Saxton griff schnell nach den Handschuhen und verbarg seine Hände, während er sie anzog. Dann nahm er den Lederhelm, setzte ihn auf und zog den Kragen seines Rockes zurecht, ohne auf die Bänder zu achten, die die Maske festhielten. Er stemmte sich mit weit ausgebreiteten Armen gegen den Deckel des Cembalos und fragte: »Spielen Sie?«
Erienne mußte lachen. »Das ist schon lange her, Mylord, und es waren damals nur ein paar einfache Stücke, die ich konnte. Und sicher habe ich nicht mit solcher Leidenschaft gespielt wie Sie.«
Er seufzte schwer und machte eine ungeduldige Handbewegung. »Scheint fast, als ob es bei mir nicht mehr so richtig klingen will.«
»Sie haben in Ihrem Inneren zuviel Zorn«, sagte sie ruhig.
Er spottete. »Mir scheint, daß Sie nicht nur schön sind, sondern auch übersinnliche Fähigkeiten haben, da Sie so offen in meinem Inneren lesen können?«
Zum ersten Mal hatte Erienne das Gefühl, daß sie ihn etwas verstehen konnte. »Sicherlich nicht, Mylord, doch ich habe Kummer und Zorn und Hass in den Menschen kennen gelernt, die um mich waren. Glauben Sie mir … Stuart« – sein Name kam ihr in seiner Gegenwart nicht leicht über die Lippen – »all die letzten Jahre habe ich nicht viel anderes erlebt. Meine Mutter war die einzige, von der ich Liebe empfangen habe, und sie ist schon seit vielen Monaten tot. Wenn Sie auch die Maske tragen, so glaube ich doch viele dieser Gefühle in Ihnen zu sehen … und das ängstigt mich.«
»Das sollten Sie nicht. Ich will Ihnen nichts Böses antun.«
Ihr Blick senkte sich, und sie wandte sich halb ab und starrte in die Dunkelheit. »So viele Narben Ihr Körper auch haben mag, ich bin sicher, daß Ihre Seele noch viel mehr leidet. Darum haben Sie mein Mitgefühl.«
Er wies das verächtlich von sich. »Ich bitte Sie ganz eindringlich, Ihr Mitgefühl für denjenigen
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